0494 - Hexen-Polterabend
in der Dunkelheit sah ich die Bleichheit seines Gesichts. Er konnte den Kopf nie ruhig halten. Mal schaute er auf die rechte, dann wieder zur linken Seite hin und des öfteren zum. Waldrand. Es war, als suchte er Gegner.
»Ist jemand in der Nähe?« fragte ich.
Er hob die Schultern. »Ich weiß nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Nun ja, ich… ich habe das Gefühl, als wüßten die anderen schon Bescheid, daß wir da sind.«
»Welche anderen?«
Er schaute Suko und mich groß an. »Das ist doch die Nacht der Hexen. Sie feiern ihren Polterabend. Dieser Wald gehört jetzt ihnen.«
»Nicht nur der Bluthügel?« fragte Suko.
»Der auch.« Stern nickte. »Aber damit geben sie sich nicht zufrieden. Sie haben Bishops Wood zu ihrem Gebiet gemacht. Sie glauben gar nicht, wie stark sie sind.« Er räusperte sich. »Aber zu einer Feier gehört Musik, Gesang…«
»Möglicherweise sind sie noch nicht soweit«, sagte ich. »Deshalb wollen wir zusehen, daß wir pünktlich sind. Sie, Stern, werden uns zum Bluthügel führen.«
Der Anwalt war noch nicht bereit. Stern hob die Schultern und schaute gegen die Wand des Waldes.
»Nichts wird so bleiben«, sagte er. »Gar nichts. Die Hexen beherrschen die Natur. Sie haben sie schon immer kontrolliert. Sie gehören zu den mächtigsten Personen und Dämonen. Nur wollten die Menschen dies nicht wahrhaben, und das ist ihr Fehler gewesen. Ich sage euch, daß wir uns auf eine Hölle gefaßt machen können, wenn nicht noch mehr.«
»Was wissen Sie genau?« herrschte ich ihn an.
»Nichts.«
Ich wollte mir nicht von ihm auf der Nase herumtanzen lassen und wurde rabiater. Stern versteifte, als ich ihn durchschüttelte. »Verdammt, machen Sie den Mund auf! Was wissen Sie noch?«
Er antwortete noch immer nicht konkret. »Diese Nacht wird furchtbar. Nichts wird mehr so bleiben, wie wir es jetzt noch sehen. Alles verändert sich. Sie können die Natur verbiegen, sie erschaffen ihre eigenen Welten. Was wissen wir Menschen schon von den Dingen, die tief im Schoß der Erde lauern? Nichts, wir wissen gar nichts. Wir können nicht einmal davon träumen. Sie sind zu schrecklich. Sie haben das Grauen in sich geborgen, doch die Hexen besitzen die Macht, es freizulassen.« Er schaute uns starr und ängstlich an. »Kehren wir um, noch ist Zeit, aber bald ist die Chance vertan. Da wird dieser Wald uns schlucken, uns verschlingen. Da werden die Helfer erscheinen, die zum Hexen-Polterabend eingeladen sind. Bei diesen Ereignissen öffnet die Hölle ihre Pforten.«
»Sie halten uns nur auf«, erklärte Suko. »Kommen Sie endlich. Es ist genug geredet worden.«
Der Anwalt senkte den Kopf. »Sagen Sie später nicht, daß ich Sie nicht gewarnt hätte.«
Suko fragte mich so leise, daß nur ich es hören konnte. »Was hältst du davon?«
»Er kann recht haben. Ich traue der Hölle alles zu. Was glaubst du, was es für ein Triumph sein wird, wenn sie es schafft, Jane Collins wieder zurückzuholen. Da wird Abandur in der Hierarchie steigen und…«
»Wie kommt es, daß wir den Namen nie zuvor gehört haben?«
»Da mußt du mich etwas Leichteres fragen.«
Suko hatte seine kleine Lampe hervorgeholt. Der bleiche lichtintensive Strahl tastete das Unterholz und die Stämme der Bäume ab. Suko suchte nach einem Weg, der in den dichten Wald führte. Wir sahen auch einen schmalen Pfad.
Für Fahrzeuge war er durch eine Schranke versperrt worden. Er wurde als reiner Spazierweg ausgegeben.
»Führt er zum Bluthügel?« fragte Suko.
Stern nickte.
»Dann werden wir beide vorgehen. Kommen Sie!«
Im gleichen Moment hörten wir den dünnen, aber trotzdem ängstlich klingenden Schrei.
Wir erstarrten in der Bewegung. Keiner von uns wußte, wo dieser Ruf aufgeklungen war.
Jerry Stern hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Es fängt an!« hauchte er. »Ja, das ist der Beginn…«
»Halten Sie den Mund!« fuhr ich ihn an, weil ich darauf wartete, daß sich der Schrei wiederholte.
Das geschah tatsächlich.
Wieder erfüllte dieses dünne Heulen unsere unmittelbare Umgebung, und Suko fuhr mit einer halben Drehung herum. »John«, sagte er scharf. »Verdammt, das ist nicht möglich. Der Schrei, der…«
»Was ist denn?«
»Der ist von dir gekommen!«
***
Ich blieb steif stehen, wollte grinsen, ihn auslachen, aber das schaffte ich nicht, Sukos Stimme hatte einfach zu ernst geklungen. Er spaßte auf keinen Fall.
»Aber ich habe nicht geschrieen.«
»Du nicht, John. Es war bei dir.« Er kam jetzt auf mich zu.
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