0497 - Die Fledermenschen
und den Alarm auslöste. »Könnte es nicht sein, daß er uns absichtlich zu spät gewarnt hat? Ist es nicht auffällig, daß ausgerechnet Halo, einer der Jungen, schon mehr Überfälle der geflügelten Teufel unbeschadet überlebt hat als selbst mancher, der drei- oder viermal so alt ist?«
Halo ein Verräter? »Er hätte tot sein müssen wie Boras und viele andere! Aber er ist nicht tot. Haben die Teufel ihn vielleicht verschont zur Belohnung, weil er uns ihnen ausgeliefert hat?«
Je mehr Stimmen gehört wurden, desto stärker wurde der Verdacht, der sich gegen Halo richtete. Das war ungewöhnlich; niemand konnte sich erinnern, daß jemals ein Somerer die anderen verraten hatte. Aber es hatte auch niemals jemanden gegeben, an dem die Geflügelten achtlos vorbeigeschritten waren.
Halo war ein Novum. Daß er noch lebte, kam den anderen plötzlich seltsam vor. Halo selbst erreichte inzwischen die Götterblume, die in allen Farben des Regenbogens leuchtete und deren Blütenkelche groß genug war, einen Somerer in sich aufzunehmen.
Nie hatte ein Somerer versucht, in Götterblumenkelche zu klettern, und Halo erschrak vor seinem Gedanken. Er wußte aber, daß manchmal Götter kamen und gingen. Woher sie kamen, wenn sie zwischen den Blüten der Götterblume auftauchten, und wohin sie gingen, wenn sie zwischen ihnen wieder verschwanden, das wußte niemand. Und wer hätte es jemals gewagt, Göttern nachzuspionieren?
Es hatte doch nie einen Somerer wie Halo gegeben!
Er kniete jetzt vor der Blume mit ihren drei großen Blütenkelchen, die im Licht der Rotsonne so wunderschön leuchteten wie nie zuvor. Und Halo sprach sein Gebet, wie er es gelobt hatte, und bat die Götterblume um Rat und Hilfe.
***
Handelte es sich bei dem Raum um den ehemaligen Rittersaal von Spooky-Castle? Auf jeden Fall handelte es sich um eine ziemlich große Halle, und der Gnom hatte das Heizgerät, so gut wie alle Lampen und einen Teil des Mobiliars in diese Halle geschleppt. Daß durch die Größe des Raumes die Heizleistung des Gas-Aggregates nahezu wirkungslos verpuffte, schien keinen der beiden Zeitreisenden zu interessieren.
Don Cristofero hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht, nahe dem Heizgerät. Er wandte den Kopf, als sich der Gnom an der Tür lautstark bemerkbar machte und den Besuch Lady Patricias ankündigte. Mit einer Geschwindigkeit, die man diesem wohlstandsbauchgesegneten Mann normalerweise nicht zutraute, erhob er sich aus dem Sessel und eilte der Lady entgegen, um sie mit einer höfischen Verneigung und einem Handkuß zu begrüßen, seinen federgeschmückten Hut schwenkend.
»Fast, Mylady, wäre ich geneigt zu schwärmen: Welch lichter Glanz erfüllt nun diese finstere Hütte, doch wohl bewußt ist es mir mittlerweile, daß diese Worte in Eurer Zeit arg an Wirkung verloren haben. So beschränke ich mich darauf, Euch herzlich willkommen zu heißen. Was verschafft uns die segensreiche Ehre der Abwechslung in unserem eintönigen Dasein, welche Euer Besuch für uns bedeutet?«
Patricia sah an ihm vorbei. Sie hörte die Worte des Spaniers, aber sie verstand sie kaum. Der Gnom hatte nicht übertrieben. Die Blume war wirklich wunderbar. Oder waren es mehrere? Sie zählte fünf Kelche, die unglaublich groß waren. Im ersten Moment glaubte sie an eine Illusion, weil es so große Blumen gar nicht geben durfte. Sie mußten doch unter dem Gewicht ihrer Blüten einfach zusammenbrechen. Für alles in der Natur gab es eine bestimmte Obergrenze des Wachstums, jenseits derer kein arttypisches Leben mehr möglich war.
Dann - die Winterkälte. Und die Dunkelheit, die in dieser Halle normalerweise herrschen mußte. Patricia versuchte Fenster zu erkennen, aber das Licht reichte nicht weit genug. Sicher gab es Fensteröffnungen, ebenso sicher waren die aber auch recht klein geraten. Auch wenn man vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden, die diese Ruine angeblich schon auf dem Buckel hatte, von Energiesparen und Wärmedämmung noch nichts gehört hatte, mußte den Baumeistern klar gewesen sein, daß durch große Fenster viel Wärme entwich und viel Kälte hereinkam. Auf Licht konnte man eher verzichten. Also mußten die Mauern dick und die Fenster klein sein.
Blumen brauchten aber Licht; große Blumen brauchten viel Licht. Wasser brauchten sie auch. Falls es nicht durch Löcher im Dach kräftig in diesen Rittersaal hineinregnete oder der Grundwasserspiegel auf Fußbodenniveau lag - letzteres war natürlich unmöglich - mußte es also jemanden
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