0499 - Garingas Fluch
zur Seite schob und das bläulich schimmernde Gestein unter mir sah.
Ich spürte auch etwas. Es war kein Widerstand, aber in den Steinboden hatte jemand eine Furche eingraviert oder eingeschlagen. Natürlich wollte ich wissen, was dieser unbekannte Steinmetz hinterlassen hatte. Im Schein der Lampe räumte ich den Staub zur Seite, der mir als Wolken entgegenquoll, zum Husten reizte, auch zum Niesen, mich aber nicht davon abhielt, weiterzumachen.
Nach einer Weile hatte ich es geschafft. Da klebte der Staub zwar an mir, doch die Sicht war frei.
Es war ein großer Gegenstand, der sich auf dem Boden befand. Nicht rund, dafür gradlinig, eckig.
Zuerst dachte ich an die Abbildung eines Schwertes, das war ein Irrtum.
Als ich endlich erkannte, was es tatsächlich war, konnte ich abermals nur staunen.
Es war ein Patriarchenkreuz, zwei Kreuze in einem.
Saunders hatte mich beobachtet. Auch er sah das eingemeißelte Kreuz und nickte. »Das ist die Spur zu Gottfried von Bouillon.«
»Inwiefern?«
»Dieses Kreuz, das du freigelegt hast, nennt man auch das Lothringer Kreuz. Gottfried von Bouillon war Herzog von Niederlothringen, wenn du dich erinnerst. Hier hat er seine Spur hinterlassen, sein Zeichen, ein Hinweis für den Suchenden. Du befindest dich auf der richtigen Spur. Das Schwert muß hier sein.«
»Und wo? Ich sehe es nicht!«
»Unter dem Kreuz!«
Meine Haut am Kinn spannte sich, als ich, leicht sauer über die Antwort, die Lippen zusammenpreßte. »Was soll das? Ich kann das Gestein kaum aufhacken.«
Die Erwiderung klang orakelhaft. »Für den Suchenden darf es keine Hindernisse geben. Wer das Schwert erringen und Garinga vernichten will, muß in der Lage sein, den Weg zu ihm zu finden. Das solltest du dir vor Augen halten.«
»Wie soll ich das machen?«
»Schau dir das Kreuz an.« Saunders streckte den Arm aus. »Sieh es dir genau an.«
Ich hatte zwar noch immer nicht so recht begriffen, aber irgend etwas mußte ja an seinen Worten stimmen. Bisher jedenfalls hatte mich der alte Mann noch nicht gelinkt.
Die Stimmen waren zwar nicht verstummt, ihr Gesang jedoch hatte an Lautstärke verloren. Ich hörte ihn nur mehr als fernes Brausen aus dem anderen Teil der Templer-Kirche.
Das in den Stein eingravierte Kreuz war sehr groß. Ich konnte es durchaus mit der Länge eines Menschen vergleichen und benötigte zwei lange Schritte, um es vom unteren bis hin zum oberen Teil abzumessen. Mit dem Lichtstrahl zeichnete ich seine Konturen nach und entdeckte jeweils an den sechs Enden die silbrig schimmernden Punkte, die mir wie Knöpfe vorkamen.
Ich ging in die Hocke. Meine Fingerkuppen fuhren über die Knöpfe hinweg, und ich stellte fest, daß sie ein winziges Stück aus dem Boden hervorschauten.
War das die Lösung?
Saunders war an der Tür stehengeblieben. Seine Stimme erreichte mich als Flüstern. »Du bist sehr nahe an der Wahrheit, sehr nahe sogar.«
»Wie nahe?« fragte ich gegen.
Wieder erhielt ich eine orakelhafte Antwort. »Wenn der Suchende kommt, wird er eine Waffe bei sich tragen, die ihm die Tür zu anderen Reichen öffnet. Du müßtest, wenn du der Richtige bist, diese Waffe besitzen.«
Waffe?
Ich dachte nach. Ja, ich besaß etwas, aber das konnte man nicht direkt als Waffe bezeichnen.
Es war mein Kreuz!
Ich hatte bisher gebückt gestanden, jetzt richtete ich mich auf, weil Saunders mich sehen sollte. Ich leuchtete mich dabei selbst an und faßte mit der Rechten in meinen Nacken, wo ich die dünne Silberkette zwischen die Fingerspitzen bekam.
Sehr langsam zog ich das Kreuz hervor. Der Lichtfinger fiel auf meinen Talisman. Er ließ das Silber an einigen Stellen leuchten wie kleine Sonnen.
»Ist es das?« fragte ich.
Die Antwort ließ auf sich warten. Möglicherweise war Saunders verblüfft oder geschockt. Er hüstelte einige Male, bevor er fragte: »Woher hast du es?«
»Es gehört mir. Du kennst es?«
»Ich… ich hörte davon.« Er wischte seine feuchten Handflächen an seiner Hose ab. »Es geistert durch die Legenden, es wird oft erwähnt, aber nie richtig beschrieben. Fast wie der Gral…«
»Aber es ist nicht der Gral!«
»Nein, natürlich nicht. Nur…«
»Ich werde versuchen, den Weg zum Schwert zu finden«, sagte ich und bückte mich wieder.
Das Kreuz lag ruhig in meiner rechten Hand. Es gab die Ansatzpunkte auf dem Lothringer Kreuz.
Beide Kreuze wollte ich miteinander in Verbindung bringen und - sofern es nötig war - das magische Siegel aufbrechen, um an das Schwert zu
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