05 - Denn bitter ist der Tod
Frage.« Es gelang ihm, einen leichten Ton anzuschlagen, aber das Herz schlug ihm bis zum Hals. »Ich wäge die Summe dessen, was ich bin, ab gegen das, was ich sein sollte, und frage mich, ob ich gut genug bin.«
»Gut genug?« Sie drehte den Kopf. »Wie kommst du darauf, daß du nicht gut genug sein könntest?«
Er wollte sie wieder in London haben, jederzeit erreichbar. Wenn er ihr gut genug war, würde sie seiner Bitte folgen und zurückkehren. Wenn sie seine Liebe schätzte, würde sie sich nach seinen Wünschen richten. So wünschte er es sich. Aber das konnte er ihr nicht sagen. Darum sagte er nur: »Ich glaube, ich suche nach einer Definition der Liebe.«
Sie lächelte und hängte sich bei ihm ein. »Du und die ganze Welt, Tommy, Schatz.« Sie bogen um die Ecke in die Trinity Lane. Ein großes Schild mit der Aufschrift Jazzen Sie mal wieder und Pfeile aus buntem Tonpapier, die auf den Bürgersteig aufgeklebt waren, wiesen den Weg zur Studentenhalle in der Nordostecke des Collegegeländes.
In dem modernen Bau war nicht nur die Studentenhalle untergebracht, sondern auch eine Kneipe mit kleinen runden Tischen, die fast alle besetzt waren. Es ging laut und ausgelassen zu. Die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich auf die beiden Männer, die verbissen am Darts-Brett ihre Kräfte maßen. Es schien ein Wettstreit zwischen Jugend und Alter zu sein. Der eine Spieler war höchstens zwanzig, der andere ein gesetzter älterer Mann mit kurzem grauen Vollbart, offenbar ein Dozent des College.
»Los, Petersen, gib's ihm«, rief jemand, als der Junge sich zum Wurf aufstellte. »Zeig ihm, was du kannst.«
Der Junge krempelte sich demonstrativ die Ärmel hoch und nahm mit übertriebener Sorgfalt seinen Platz vor dem Brett ein, bevor er den Wurfpfeil schleuderte und unter dem grölenden Gelächter der Zuschauer das Brett völlig verfehlte. Er drehte den Spöttern den Rücken, deutete vielsagend auf sein Gesäß und griff sich den Bierkrug, den er vorher auf einem Tisch abgestellt hatte.
Lynley führte Helen durch das Gedränge zum Tresen, und nachdem sie sich dort zwei Bier geholt hatten, gingen sie weiter in die Studentenhalle, die mit einer Reihe von Sitzbänken und zahlreichen leichten Regiesesseln ausgestattet war. Am einen Ende des Raumes war eine Bühne, auf der sich bereits die Band mit ihren Instrumenten versammelt hatte. Als Miranda Webberly Lynley und Helen kommen sah, stolperte sie in ihrem Eifer, sie zu begrüßen, über eines der vielen Verlängerungskabel, die sich über die Bühne schlängelten. Sie konnte sich gerade noch fangen, lachte und lief ihnen durch den Saal entgegen.
»Sie sind wirklich gekommen!« rief sie. »Das ist toll. Inspector, versprechen Sie mir, meinem Vater zu erzählen, was für ein musikalisches Genie ich bin? Ich möchte nämlich unbedingt noch mal nach New Orleans, aber die Reise wird er mir nur finanzieren, wenn er glaubt, daß ich im Jazz eine Zukunft habe.«
»Ich werde ihm sagen, du bläst wie ein Engel.«
»Um Gottes willen, nein! Wie Chet Baker.« Sie begrüßte Helen und sagte dann gedämpfter: »Jimmy - das ist unser Schlagzeuger - wollte die Session heute eigentlich absagen. Er ist im Queen's, wissen Sie, und da ist doch heute morgen eine Studentin erschossen worden...« Sie warf einen Blick zurück zu dem jungen Schlagzeuger, der ganz in sich vertieft am Becken leichten, schnellen Rhythmus schlug. »Aber dann haben wir uns doch geeinigt zu spielen. Ich weiß allerdings nicht, wie's klingen wird. Keiner scheint so richtig in Stimmung zu sein.«
Der Saal hatte sich mittlerweile ziemlich gefüllt. Lynley nutzte das Gespräch mit Miranda, um zu fragen: »Randie, hast du gewußt, daß Elena Weaver schwanger war?«
Miranda trat etwas verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Ich hatte so einen Verdacht.«
»Hat sie dir was gesagt?«
»Nein, ich hab's nur vermutet.«
»Und wie bist du darauf gekommen?«
»Wegen der Cornflakes in unserer Küche, Inspector. Es waren ihre. Die Packung stand seit Wochen unberührt da.«
»Ja und?«
»Ihr Frühstück«, warf Helen ein.
Miranda nickte. »Sie hat auf einmal nicht mehr gefrühstückt. Und drei- oder viermal hab ich, als ich in die Toilette ging, gemerkt, daß sie sich da vorher übergeben hatte. Einmal hatte sie vergessen abzusperren, und ich bin mitten reingeplatzt.« Hastig fügte sie hinzu: »Ich hätte schon am Montag was gesagt, aber ich wußte es ja nicht mit Sicherheit. Sie hat sich überhaupt nicht anders benommen
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