05 - Der Kardinal im Kreml
Seitenstraße gejagt und übernahm die Verfolgung.
Nun verfolgte Watutin die Entwicklung über Funk weiter. Die Sprü
che waren knapp und sachlich, als sich die sechs Wagen bei der Überwachung abwechselten. Im allgemeinen lag einer vor dem Objekt und einer
hinter ihm. Filitows Auto hielt vor einem Lebensmittelgeschäft für hohe
Beamte des Verteidigungsministeriums. Drinnen hatte Watutin einen
Mann postiert, der beobachten sollte, was Filitow kaufte und mit wem er
sprach.
Wie er sah, ging alles glatt, was angesichts der Tatsache, daß der
Vorsitzende sich persönlich für diesen Fall interessierte, kein Wunder
war. Watutins Wagen jagte dem Opfer voraus und ließ den Oberst
gegenüber von Filitows Haus aussteigen. Watutin ging hinein und hinauf
in die Wohnung, die das KGB übernommen hatte.
«Genau zur richtigen Zeit», sagte ein Offizier, als Watutin eintrat. Der Mann vom Zweiten Direktorat schaute diskret aus dem Fenster
und sah Filitows Wagen anhalten. Das Verfolgerfahrzeug rollte vorbei,
ohne die Fahrt zu verlangsamen, als der Oberst der Roten Armee das
Gebäude betrat.
«Objekt betritt gerade das Haus», verkündete ein Fernmeldespezialist. Drinnen sollte eine Frau mit einem Einkaufsnetz voller Äpfel mit
Filitow in den Aufzug treten. Oben auf Filitows Stockwerk schlenderte
dann ein junges Pärchen an ihm vorbei und schwor sich vernehmlich flüsternd ewige Liebe. Die Mikrophone fingen das Gesäusel auf, als
Filitow seine Wohnungstür öffnete.
«Ich hab ihn», sagte der Kameramann.
«Halten wir uns von den Fenstern fern», meinte Watutin überflüssigerweise. Die Männer mit den Ferngläsern hielten sich in sicherer Entfernung von den Fenstern, und solange in der Wohnung kein Licht brannte
- die Glühbirnen hatte man herausgeschraubt - merkte niemand, daß
jemand in den Räumen war.
Angenehm fanden sie, daß der Mann nie die Vorhänge zuzog. Sie
sahen zu, wie er sich im Schlafzimmer umzog, dann zurück in die Küche
ging und sich ein einfaches Mahl zubereitete. Sie sahen, wie er den
Folienverschluß einer Halbliterflasche Wodka aufriß. Dann setzte er sich
ans Fenster und surrte hinaus.
«Ein alter, einsamer Mann», bemerkte ein Offizier. «Ob es wohl an
der Einsamkeit lag?»
«Was auch immer es war, wir werden es herausfinden.»
Wie kommt es, daß der Staat uns verraten kann? fragte Mischa zwei
Stunden später seinen Gefreiten Romanow.
Wohl weil wir Soldaten sind. Mischa merkte, daß der Gefreite der
Frage auswich. Ahnte er, worauf sein Hauptmann hinauswollte? Und wenn wir den Staat verraten...?
Dann müssen wir sterben, Genosse Hauptmann. Ganz einfach. Wir
verdienen den Haß der Arbeiter und Bauern und müssen sterben. Über
die Zeitspanne des Dialogs hinweg starrte Romanow seinem Offizier in
die Augen. Ihm fehlte der Mut, die Frage zu stellen, aber sein Blick
verriet sie: Hauptmann, was haben Sie getan?
Gegenüber hörte der Mann am Tonbandgerät ein Schluchzen und
fragte sich, was es ausgelöst hatte.
«Was machst du da, Liebling?» fragte Ed Foley. Die Mikrophone hörten mit.
«Eine Liste für die Abreise. Es ist so viel zu erledigen, daß ich besser gleich anfange.»
Foley beugte sich über ihre Schulter. Sie schrieb mit Filzstift auf Plastikfolie, die sich abwischen ließ.
ICH MACH DAS, schrieb sie. HAB DEN PERFEKTEN VORWAND.
Mary Pat lächelte und hielt ein Foto von Eddies Eishockeymannschaft hoch. Jeder Spieler hatte seine Unterschrift daraufgesetzt, und oben stand in Eddies ungelenken kyrillischen Lettern: UNSEREM GLÜCKSBRINGER - MIT DANK, EDDIE FOLEY.
Ed Foley zog die Stirn kraus. Typisch für seine Frau, sich der gewagtesten Methode zu bedienen. Sollte er sich mit dem Risiko einverstanden erklären?
NA GUT, ABER PASS AUF!!! schrieb er auf den Kunststoff. Ihre Augen funkelten, als sie die Worte wegwischte und ihre Antwort hinschrieb:
KOMM, WIR MACHEN DAS MIKRO GEIL!
Ed erstickte fast bei dem Versuch, einen Lachanfall zu unterdrücken. Wenn so was ansteht, will sie immer, dachte er. Ein wenig seltsam fand er das schon.
Zehn Minuten später lauschten in einem kleinen Raum im Keller des Wohnblocks zwei russische Abhörtechniker verzückt den Geräuschen aus dem Foleyschen Schlafzimmer.
Mary Pat Foley wachte wie üblich um sechs Uhr fünfzehn auf. Draußen war es noch dunkel. Wie die meisten Amerikaner in Moskau haßte sie die Vorstellung, daß ihre vier Wände abgehört wurden, gründlich. Zwar bescherte ihr das manchmal ein perverses Vergnügen, so wie letzte Nacht, aber die Vorstellung, daß die
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