05 - Der Kardinal im Kreml
Mischa sein Tagebuch aus der Schublade und zeichnete zuallererst den Plan aus dem Anhang zu Bondarenkos Bericht nach. Alle paar Minuten hielt er inne und schaute sich das gerahmte Bild seiner Frau an. Über weite Strecken hatte der endgültige Bericht mit dem handgeschriebenen übereingestimmt; nun brauchte er nur noch zehn neue Seiten hinzuzufügen und die wichtigen Formeln einzusetzen. Berichte von KARDINAL waren immer vorbildlich knapp und klar; etwas, das er sich beim Abfassen unzähliger Einsatzbefehle angewöhnt hatte. Als er fertig war, streifte er Handschuhe über und ging in die Küche. Dort war an der Rückseite seines Kühlschranks aus Westdeutschland eine kleine Kamera magnetisch befestigt. Mischa bediente sie trotz der störenden Handschuhe geschickt und hatte schon nach ein paar Minuten die neuen Tagebuchseiten fotografiert. Dann spulte er den Film zurück und entnahm die Kassette, steckte sie ein und tat die Kamera zurück in ihr Versteck, ehe er die Handschuhe auszog. Anschließend arrangierte er die Vorhänge. Mischa war überaus vorsichtig. Wer seine Wohnungstür genau inspizierte, würde Kratzer am Schloß finden, die darauf hinwiesen, daß es von einem Experten geöffnet worden war. Wenn bestätigt worden war, daß sein Bericht Washington erreicht hatte - das Zeichen waren schwarze Reifenspuren an einem bestimmten Randstein -, riß er die Seiten aus dem Tagebuch, tat sie in den Leinwandsack und warf sie selbst in die Verbrennungsanlage, deren Installation er vor zwanzig Jahren persönlich überwacht hatte.
Als die Sache erledigt war, schaute sich Oberst Michail Semjonowitsch Filitow noch einmal Elenas Bild an und fragte, ob er recht getan hatte. Aber Elena lächelte nur. So viele Jahre, dachte er, und noch immer plagt es mein Gewissen. Er schüttelte den Kopf. Nun folgte der letzte Teil des Rituals. Er verspeiste Wurst und Schwarzbrot, und seine Kameraden aus dem Großen Vaterländischen Krieg kamen zu Besuch, doch er konnte jene, die fürs Vaterland gestorben waren, nicht fragen, ob er recht tat, es zu verraten. Auch die Flasche Wodka half nicht weiter, betäubte ihn aber wenigstens, so daß er kurz nach zehn ins Bett torkelte und das Licht anließ.
Kurz nach elf fuhr ein Wagen den breiten Boulevard vor dem Wohnblock entlang, und zwei blaue Augen schauten hoch zu den Fenstern des Obersten. Diesmal war es Ed Foley. Ihm fielen die Vorhänge auf. Auf dem Weg zu seiner Wohnung wurde eine weitere Geheimbotschaft weitergegeben. Ein Moskauer Müllmann brachte eine Reihe von Signalen an, harmlose Dinge wie zum Beispiel ein Kreidestrich an einem Laternenpfahl, die dem Übernahmeteam verrieten, daß es sich an den verabredeten Stellen einzufinden hatte. Bei Tagesanbruch würde ein anderer Mitarbeiter des CIA-Büros Moskau die Hinweise überprüfen, und wenn etwas fehlte, konnte Foley die ganze Aktion noch abblasen.
Sein Beruf war zwar aufreibend, aber Ed Foley fand doch manche seiner Aspekte amüsant. Zum Beispiel hatten die Russen es ihm leichter gemacht, indem sie KARDINAL eine Wohnung in einer vielbefahrenen Straße gegeben hatten. Außerdem hatten sie das neue Botschaftsgebäude der USA dermaßen plump verwanzt, daß die Regierung der Vereinigten Staaten auf seinem Abriß bestand; so blieb Foley in der alten Botschaft und mußte jeden Abend auf dem Heimweg durch diesen Boulevard fahren.
Foley mußte auch genau überlegen, was er in seinen eigenen vier Wänden sagte. Jede von Amerikanern belegte Wohnung mußte als verwanzt gelten, aber auch daran hatten sich Ed und Mary Pat im Lauf der Jahre gewöhnt. Nachdem er hereingekommen war und seinen Mantel aufgehängt hatte, küßte er seine Frau und kitzelte sie gleichzeitig hinterm Ohr. Sie verstand und kicherte. Doch beide waren den Streß, der mit diesem Posten einherging, gründlich müde. Nur noch ein paar Monate ...
«Und wie war der Empfang?» fragte sie für die Wandmikrophone. «Bescheuert wie üblich», kam die Antwort.
Beatrice Taussig verfaßte keinen Bericht, obwohl sie Candis Versprecher für bedeutsam hielt.
Sie war zwar für fast alles zugelassen, was im Los Alamos National Laboratory geschah, über einen ungeplanten Test aber nicht informiert worden. Es arbeiteten in Europa und Japan Firmen an SDI mit, aber deren Aktivitäten bedurften nicht Al Gregorys Interpretation. Es mußten also die Russen gewesen sein, und wenn man den kleinen Fiesling nach Washington geholt hatte, war etwas Wichtiges am Dampfen.
Sie konnte Gregory zwar nicht
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