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050 - Die Blutsauger

050 - Die Blutsauger

Titel: 050 - Die Blutsauger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Barton
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seltsame Komplexe. Sie finden ihre Nahrung in all jenen Gedanken und Wünschen, die wir unterdrücken, weil wir kultivierte, anständige, beherrschte Menschen sind.«
    Er schwieg einige Augenblicke lang, und sah Leroy aufmerksam an. Leroy sagte nichts.
    »Die Dinge, die wir unterdrücken, können auf sehr seltsame Weise in unser Bewußtsein zurückkehren«, fuhr der Doktor mit sanfter Stimme fort. »Wenn wir überarbeitet sind, angespannte Nerven haben und physisch geschwächt sind, kann beinahe alles geschehen. Denn das, was wir unterdrücken, hat die unangenehme Eigenschaft, sich in unserem Unterbewußtsein anderen Dingen, die wir verdrängen oder verdrängt haben, zuzugesellen. Und eines Tages kommt das alles geballt auf uns zu. Die einen bekommen Ohrensausen, die anderen sehen wirbelnde Lichtspiralen oder Flecken vor den Augen. Manche bekommen psychosomatische Allergien, und manche verrennen sich in fixe Ideen. Und die meisten dieser Erscheinungen haben ihre Wurzeln in unserem Unterbewußtsein.«
    Der Doktor lehnte sich nach vorn. »Manchmal sehen die Patienten nicht vorhandene Tiere oder Menschen. Oder es verbinden sich alle unterdrückten Lüste in einer einzigen Frau, einer Hexe, einer schönen Zauberin, einem weiblichen Vampir etwa.«
    »Aber ich habe die Berührung ihres Körpers gespürt!« protestierte Leroy. »Sie war so wirklich wie der Sessel hier!«
    »Auch Sinnesempfindungen können eine Illusion sein«, erklärte der Doktor ruhig.
    »Sie wollen mir einreden, daß ich verrückt bin!« sagte Leroy entsetzt.
     

     
    Der Schock über das, was Henry Foster eben gesagt hatte, fuhr Leroy Thompson in die Glieder. Er leerte sein Brandyglas in einem Zug und stand abrupt auf, wobei er seinen Stuhl mit ungewöhnlicher Heftigkeit zurückstieß.
    »Was … was haben Sie? Was wollen Sie tun?« fragte Foster.
    »Ich gehe nach Hause«, sagte Leroy.
    »Ich hoffe, es ist nicht meine Schuld, wenn Sie so erregt sind, lieber Freund!«
    »Nun, ich kann nicht behaupten, daß mich Ihre psychiatrische Diagnose besonders beruhigt hätte«, sagte Thompson kühl.
    »Das tut mir leid«, sagte Foster. »Aber Sie wissen: alles, was Sie brauchen, sind ein paar Tage Entspannung, ein paar Tage absoluter Ruhe, weit weg von der Arbeit. Ein klein wenig Nervenerholung. Fahren Sie für eine Woche ans Meer! Oder hinaus aufs Land, Golfspielen oder Spazierengehen. Oder ein verlängertes Wochenende zum Reiten!«
    Thompson nickte. »Wer weiß, vielleicht befolge ich doch noch Ihre Ratschläge, Doktor …«
    »Das wäre gut. Also dann, schlafen Sie gut, Leroy, und schöne Träume!«
    »Gute Nacht.« Leroy ging durch die Schwingtüren, und die Worte des Arztes klangen in seinen Ohren nach. Konnte Foster recht haben? War Lilette wirklich nichts anderes als eine Ausgeburt seiner überanstrengten Sinne? Litt er tatsächlich an diesem Vampirsyndrom? Es schien so unglaublich, so absurd! Und doch … Und doch … Was sollte es sonst sein? Es schien eine weitaus logischere Erklärung zu sein als jede andere.
    Wieder und wieder rief er sich alle Vorkommnisse in Erinnerung, betrachtete sie von allen Seiten, erinnerte sich an die kleinsten und nebensächlichsten Details, und nun, daß er alles noch einmal unter Fosters Gesichtspunkten betrachtete, mußte er zugeben, daß alles für des Doktors Schlußfolgerungen sprach. Das erste Zusammentreffen mit dem Mädchen in der Dunkelheit; die Tatsache, daß sie stets an der gleichen Stelle wartete, ungeachtet der Nachtstunde; die irreale Erscheinung in der mondbeschienenen Landschaft; der weite, dunkle Umhang, – das klassische Vampirrequisit; das rote Samtkleid, das aus einem anderen Jahrhundert zu stammen schien; ihre verführerische Üppigkeit; die Tatsache, daß sie niemals mit offenen Lippen lächelte, so, als ob sie lange, spitze Zähne zu verbergen hätte; und sogar die Bisse an seiner Kehle …
    Er blieb plötzlich auf der Treppe seines Klubs stehen und griff sich an den Hals. Und die Bisse? Wie erklärte der Doktor die Bisse? Aber dann fiel ihm ein, daß es ja tatsächlich keine Grenzen gab, wenn es sich um psychosomatische Symptome handelte. Heilige und Märtyrer konnten durch Meditation die Stigmata an Händen und Füßen hervorrufen …
    Vielleicht hatte er sich die beiden Wunden, ohne es zu wissen, selbst beigebracht? Mit einer Gabel vielleicht? Oder mit einer Nadel? Er versuchte, sich alles ins Gedächtnis zurückzurufen, was er je über Psychologie und Psychiatrie gelesen hatte. Und er hatte

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