050 - Die Blutsauger
einiges darüber gelesen. Er wußte, daß es etwas gab, das Dissoziation genannt wurde. Wenn ein Teil seines Bewußtseins an einem Vampirsyndrom litt und er sich diese Wunden in diesem Zustand beigebracht hatte, dann hätte sein Unterbewußtsein jede Erinnerung daran unterdrückt und die Tatsache vor seinem normalen, wachen Bewußtsein verborgen, so daß er jetzt keine Ahnung davon hätte, daß er selbst sich die Wunden beigebracht hatte. Das menschliche Gehirn war ein rätselhafter, undurchdringlicher Dschungel, dachte er. Nicht, daß ihn die Erklärung des Doktors und seine eigene besonders befriedigt oder glücklich gemacht hätten. War so etwas tatsächlich möglich? War es nicht nur graue Theorie?
War die Wärme und Leidenschaft, die er in Lilettes Gegenwart gespürt hatte, wirklich nichts anderes als ein Produkt seiner Einbildungskraft? War dieser wunderbare Körper nichts als Schein? Ein Trugbild?
Er mußte es herausfinden. Er mußte es wissen, er mußte sich seiner selbst wieder sicher sein. Aber wie konnte er jemals Gewißheit erlangen?
Wie von einer inneren Kraft getrieben, winkte Leroy Thompson einem Taxi und ließ sich so schnell wie möglich nach Hause fahren. Er rannte zu seinem Wagen, sprang hinein und fuhr in rasendem Tempo nach Nordosten, in die Richtung, aus der die Erinnerung an Lilette kam.
Existierte sie oder war sie ein Produkt seiner Einbildung? Würde er sie wiedersehen?
Er hielt den Gashebel hinunter gedrückt, während er durch Newmarket fuhr. Die große Vierlitermaschine hielt den Wagen in konstantem Hundertkilometertempo.
Er bremste scharf und bog in die alte Straße ein. Leroy Thompson fuhr so schnell, als es die schlechte Straße erlaubte.
An der Stelle, wo Lilette immer stand, bremste er den Wagen, ließ die Scheinwerfer an und stieg aus. Ohne zu wissen weshalb, kletterte er über die niedrige Hecke und verbarg sich in dem trockenen Straßengraben. Kleine Nachttiere schwirrten um sein Gesicht. Die Nacht war dunkel und mondlos, und die grünlichweißen Pünktchen der Glühwürmchen glitzerten wie Juwelen in der Finsternis.
Leroy Thompson wartete. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, und wie lange er wartete. Er sah von den Glühwürmchen zu seinem Wagen. Die aufgeblendeten Scheinwerfer riefen Lilette, aber sie kam nicht.
Stunden vergingen; die Kraft der Scheinwerfer ließ nach. Leroy ging zum Wagen zurück und schaltete sie aus, damit genug Strom in der Batterie war, um den Wagen später zu starten. Er blickte auf den leeren Sitz und setzte sich in den Wagen. Nach einer Weile hörte sein aufmerksames Ohr, daß die Tür langsam geöffnet wurde.
»Lilette, Liebling, bist du es?« flüsterte er.
Er erhielt keine Antwort. Er griff nach seiner Taschenlampe auf der Ablage und schaltete sie ein.
Das Gesicht, das der Strahl beleuchtete, war nicht das Lilettes. Eisengraues Haar und ein ebensolcher Spitzbart umrahmten ein unglaublich bösartiges Gesicht. Die Augen blieben kalt und hungrig und voller Gier an ihm hängen. Dann teilten sich die Lippen zu einem teuflischen Grinsen.
Im Taschenlampenlicht sah Leroy die beiden gräßlichen Fänge über die Unterlippe ragen. Er hieb mit der Taschenlampe gegen das entsetzliche Wesen; ein wildes, dämonisches Lachen war die Antwort, und die Taschenlampe ging aus.
Leroy versuchte zu starten. Glücklicherweise war noch genug Strom in der Batterie, um den Motor augenblicklich in Gang zu setzen. Die Gestalt hielt sich in der Dunkelheit am Wagen fest und kletterte auf den Beifahrersitz.
Leroy zuckte zurück, und neben ihm erklang ein häßliches, schrilles Lachen.
Er hielt das Lenkrad fest in den Händen und stemmte sich dagegen, um den Ruck abzufangen. Dann setzte er seinen Fuß mit aller Kraft auf die Bremse. Der dunkle, schemenhafte Körper neben ihm, der halb aus dem Wagen hing, fiel nach vorn, und Leroy konzentrierte seine ganze Kraft in seinem Arm, als er der Gestalt einen Stoß gab. Mit einem dumpfen Geräusch fiel sie neben dem Wagen auf die Straße.
Leroy Thompson trat vom Bremspedal aufs Gas, und der schwere Wagen schoß vorwärts. Er fuhr wie ein Wahnsinniger, ohne auf die Unebenheiten der Straße zu achten.
Er erreichte endlich das Ende der Römerstraße und bog in die Hauptstraße ein. Er war mit seinen Nerven am Ende.
Er fuhr weiterhin schnell, und die Straße sah verändert aus. Die Scheinwerfer gaben durch die schwache Batterie nur wenig Licht, und er strengte seine Augen an, um sich zurechtzufinden. Er war abwesend, denn
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