0504 - Lorna, die Löwenfrau
Die Frau trug fast einen Skinhead-Schnitt, so kurz waren die Haare geschoren. Sie hatte den Mund weit aufgerissen, als wollte sie mich beißen.
Die anderen waren durch eine Tür verschwunden. Es wäre auch für mich der normale Weg gewesen, aber die Frau vor mir entwickelte sich zu einer regelrechten Furie.
Bevor ich mich noch versah, hatte sie eine der langen Lampenstangen gepackt, sie herumgerissen und gegen sich geschleudert. Von der Stangenspitze löste sich die Schale. Die Birne zersplitterte, die Schale selbst jagte mir wie eine fliegende Untertasse entgegen, so daß ich den Kopf einziehen mußte.
Mit der rechten Hand schleuderte ich die Lampe zur Seite und bekam die Frau zu packen, bevor sie noch das lange Seziermesser ganz unter der Kutte hervorziehen konnte.
Ich wuchtete sie gegen die Tür. Zuerst krachte sie mit dem Rücken dagegen, dann mit dem Hinterkopf.
Ein wilder Schrei drang mir entgegen.
Plötzlich war Bill da. Er hebelte ihren Arm herum, sie ließ den Messergriff los, und ich trat die Waffe erst einmal zur Seite. In Bills Griff blieb die Frau hängen.
Das Geräusch eines startenden Automotors sagte uns genug. Der Frau hatte die Zeit gereicht. Ihren Freundinnen und natürlich auch dem Löwen war die Flucht gelungen.
Kreischend lachte sie mich an. Sie stand gebückt, hob aber den Kopf und senkte ihn wieder in einem bestimmten Rhythmus. Dann überfiel sie mich mit einer Kaskade von Schimpfworten, bis sie plötzlich verstummte und mich haßerfüllt anstarrte.
»Reicht es jetzt?« fragte ich.
Sie spie vor meine Füße. Ich hatte zudem den Eindruck, als würde Schaum auf ihren Lippen sprühen.
»Wollen Sie hier reden oder in einer Zelle?«
»Du Schwein! Komme ich frei, dann breche ich dir alle Knochen.«
Ich gestattete mir ein Lächeln. »Danach sieht es wohl nicht aus.«
»Dann wird er dich eben zerreißen!« versprach sie mir.
»Dein Löwe scheint Angst gehabt zu haben«, sagte Bill. Er hielt die Frau noch immer fest. »Sein Verschwinden sah mir mehr aus wie eine Flucht vor uns.«
»Er flieht nie. Er ist zu stark.«
»Das schien mir nicht so.« Ich nickte Bill zu, und mein Freund verstand das Zeichen. Schwungvoll drehte er die Frau herum. In diesem Raum hielt uns nichts mehr.
Die Tür stand noch offen. Von ihr ging ein starker Geruch nach frischer Beize aus. Hinter der Tür erstreckte sich ein schmaler Flur.
Er führte direkt zum Ausgang. Eine Deckenlampe gab ein schummriges Licht ab, das auf dem Boden einen Schleier hinterließ.
Es gab keine anderen Räume mehr, die wir durchsuchen konnten.
Bevor Bill unsere Gefangene ins Freie schieben konnte, ging ich an ihm vorbei und schaute mich im Hinterhof um. Mit einer Falle oder einem plötzlichen Angriff mußten wir stets rechnen.
Hier ließ man uns in Ruhe.
Der Hof erinnerte an eine Schatteninsel. Die Rückseiten der Häuser rahmten ihn zwar ein, nur waren kaum Fenster beleuchtet.
Die Scheiben in den Fassaden sahen aus wie blaugrau angestrichen.
Nicht weit entfernt hörten wir Schritte. Ein Mann erschien, sah uns und blieb stehen. Es war eine unförmige Gestalt, die ich rasch erreicht hatte. Der Mann trug einen Plastiksack auf dem Rücken und zuckte zusammen, als ich dicht vor ihm stehenblieb. Was mir entgegenwehte, war ein Gemisch aus Fuselgeruch und Schweiß.
»Ich… ich habe nichts getan, Mister«, sagte der Knabe sofort.
»Nur in den Mülltonnen nachgeschaut, wissen Sie?« Er schielte zu Bill und seiner Gefangenen rüber. »Ich werde auch nichts sagen, glauben Sie mir! Wirklich nicht.«
»Schon gut. Wann sind Sie gekommen?«
»Gerade eben.«
Das war bestimmt gelogen. Leute wie er gingen Schwierigkeiten aus dem Weg, indem sie nichts sagten und auch grundsätzlich nichts gesehen hatten.
»Wer hat das Grundstück verlassen?«
»Weiß ich nicht.«
»Wo sind die Frauen hin?« Meine Stimme klang jetzt um zwei Nuancen schärfer.
»Weg!«
»Und der Löwe?«
»Welcher Löwe?«
»Schon gut.«
»Wirklich, Mister. Ich habe nur gehört, wie ein Auto startete, das war alles.«
Ich nickte ihm zu. »Sie können verschwinden, Meister.«
»Danke.« Er haute so schnell ab, daß wir ihm mit unseren Blicken kaum folgen konnten.
Bill schob die Frau heran. »Sieg oder Niederlage?« fragte er.
»Das weiß ich noch nicht.« Ich nickte der Frau zu. »Immerhin haben wir einen Trumpf.«
Sie hatte den Kopf gehoben. »Der euch nichts nutzen wird, ihr Hundesöhne. Gar nichts.«
»Wie heißen Sie?«
»Ist das wichtig?«
»Ja.«
»Okay,
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