0507 - Die Lady mit dem Schädeltick
Gefahrenherde waren, die uns unsichtbar umgaben, wurde mir schon ganz anders. Die Schädel durfte ich auch nicht aus dem Kalkül lassen.
So breit sich die Gänge auch präsentierten, mir kamen sie trotzdem eng vor und wirkten auf mich wie Fallen.
Claudia holte mich ein. »Wir können auch noch höher, wo die Personalzimmer liegen. Direkt unter dem Dach.«
»Und? Glauben Sie, daß sich Madeline dorthin zurückgezogen hat.«
»Da habe ich sie und Sir Lucius gehört. Wir können es ja versuchen, John.«
Ich war einverstanden. Außerdem mußten wir ja irgendwo mit unserer Suche anfangen.
Die Treppe, die direkt bis unter das Dach führte, war wesentlich schmaler als die normalen Aufgänge innerhalb des großen Hauses.
»Hier wohnen ja nur wir«, sagte Claudia. Ihre Stimme klang dabei etwas bitter.
Ich enthielt mich einer Antwort und drückte mich gegen die Wand, wobei ich den Kopf schräg hielt und in die Höhe peilte.
Es war weder etwas zu sehen noch zu hören. Nur unsere eigenen Schritte vernahmen wir.
Wenig später standen wir in einem relativ engen und nur zur Hälfte erhellten Gang.
»Hier wohne ich!«
»Und wo genau?«
Claudia deutete nach links. »Die dritte Tür.«
Ich starrte sie an. »Haben Sie die offengelassen?«
»Weiß ich nicht.«
»Okay, bleiben Sie bitte zurück.«
Das Mädchen hatte verstanden. »Meinen Sie, John, daß sich Madeline bei mir versteckt hält?«
Ich lachte leise. »Rechnen müssen wir mit allem. Wie gesagt, gehen Sie bitte keinen Schritt zuviel.«
»Gut.«
Ich hatte meine Waffe noch nicht gezogen, aber das geweihte Kreuz griffbereit in der rechten Tasche stecken. Bevor ich die Tür nach innen drückte, schaute ich noch einmal zurück und spürte gleichzeitig den Luftzug auf meiner Gesichtshaut. Er war aus dem Türspalt gedrungen. Wenn Durchzug herrschte, mußte ein Fenster offen sein.
Ich ging jetzt schnell in den Raum, übersah ihn mit einem Blick. Er war leer, zwei Lampen schaltete ich noch ein, dann erst fiel mir das offene Fenster in der Dachgaube auf.
Entweder hatte Claudia gelüftet, oder Madeline war dort hinausgeklettert.
Ich lief geduckt hin, blieb aber einen Schritt vor dem Fenster stehen und schraubte mich langsam hoch.
Mein Blick fiel auf die linke Seite des Dachs. Dort stand sie nicht, es war alles leer.
Und rechts?
Etwas flatterte im Wind, und es kam mir vor wie eine helle Fledermaus. Sie war es nicht. Als ich genauer hinschaute, identifizierte ich es als ein Stück Stoff, das zu einem hemdartigen Kleid gehörte.
Mehr trug die Person nicht, die auf dem Dach und in die Tiefe schaute.
Mir war es sowieso egal. Für mich zählte nur, daß ich den Zombie Madeline Brent zum erstenmal aus der Nähe sah und nicht nur als Gemälde…
***
Madeline hatte mich nicht entdeckt. Sie bewegte sich noch ein Stück weiter, duckte sich dabei und setzte ihre Schritte, sehr, sehr vorsichtig.
Die abendliche Kühle hatte schon etwas Feuchtigkeit mitgebracht, so daß die Dachpfannen von einem Feuchtigkeitsfilm überzogen waren, der sie rutschig machte.
Eine sichere Sache wäre gewesen, die Beretta zu ziehen und kurzerhand zu schießen.
Mit diesem Gedanken spielte ich auch, verwarf ihn jedoch wieder, denn Madeline verschwand auch aus meinem unmittelbaren Blickfeld. Auf dem Dach konnte sie genügend Deckung hinter den anderen Gauben finden, dort war sie auch untergetaucht.
Ich mußte sie schnappen.
Gerade als ich aus dem Fenster kletterte, erschien Claudia an der Zimmertür.
»Haben Sie sie…?«
»Ja, sie ist auf dem Dach.«
»O Gott.«
Ich achtete nicht mehr auf die Kommentare des Mädchens und schob mich in die Höhe.
Der Wind packte meine Haare und wehte sie hoch. Ich blieb gedeckt, es war mehr ein Hinausschieben als Klettern. Dann stand auch ich auf der Fläche, die sich schräg nach vorn neigte und den dünnen Nässefilm zeigte.
Claudia war nicht zu sehen.
Aus der Tiefe hörte ich grelle Schreie, die hier oben dünn klangen.
Was dort passiert war, konnte ich nicht erkennen. Möglicherweise hing es mit den Köpfen zusammen.
Auch Madeline mußte die Schreie gehört haben, denn sie richtete sich wieder auf.
»Suchst du mich?« fragte ich so laut, daß sie mich gerade noch hören konnte.
Sie fuhr herum, und wäre fast ausgerutscht.
Dann starrten wir uns an, und ich spürte ihren Haß und ihre Boshaftigkeit wie einen tödlichen Hauch.
Eines stand fest.
Einer von uns würde das Dach nicht mehr so verlassen, wie er jetzt existierte…
***
Lady Eleonore
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