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0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang

Titel: 0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang Kostenlos Bücher Online Lesen
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der Sonne irgendwie nachgelassen hatte. Sie schlug die Augen auf.
    Vor ihr stand ein Mann, dessen Schatten auf ihren Oberkörper und ihr Gesicht fiel. Er war auf den ersten Blick als Tramp zu erkennen. Sein Anzug war ausgefranst und ausgebeult, der Filzhut hatte jede Form verloren, und an einem Strick über der Schulter trug er ein Bündel, dessen Äußeres ein zusammengerollter Mantel zu sein schien.
    Diana war erschrocken, aber sie bemühte sich, es nicht zu zeigen. Von Kindesbeinen an war sie daran gewöhnt, daß hier immer mal wieder Landstreicher vorbeikamen. Niemand konnte den Grund dafür angeben, aber so war es nun einmal. Es verging kein Jahr, ohne daß nicht wenigstens ein halbes Dutzend Tramps an die Haustür klopfte und um ein paar Cent, eine Mahlzeit oder ein Paar abgelegter Schuhe bat.
    »Sie sind aber früh unterwegs«, sagte Diana und spürte plötzlich, daß der Mann sie sehr aufdringlich ansah. Sie richtete sich zu einer sitzenden Haltung auf.
    Plötzlich kniete der Mann neben ihr. Aus seinem Munde wehte ihr eine Fahne widerlichen Geruchs entgegen. Kinn und Kiefer waren von dichten blauschwarzen Bartstoppeln bedeckt. Die kleinen kohlrabenschwarzen Augen glitzerten.
    »Bist du zu Hause durchgebrannt, Puppe?« fragte der Mann.
    Seine Stimme klang krächzend, heiser, auf eine erschreckende Art bedrohlich. Schon streckte er die Hand nach ihr aus. Diana war es, als ob ihr das Blut in den Adern gefröre. Alle ihre Muskeln verkrampften sich. Sie wollte schreien, aufspringen, davonlaufen — aber sie konnte sich nicht rühren. Sie konnte sich einfach nicht bewegen. Aus weit aufgerissenen Augen sah sie, wie sein Kopf näher kam. Dann spürte sie seine beiden Hände auf ihren Schultern.
    Und da endlich begann sie gellend zu schreien.
    ***
    Detektive Lieutenant Aris von der Mordabteilung in Detroit tat morgens etwas, wovon ihn keine Macht der Erde hätte abbringen können: Er nahm sich eine Stunde Zeit ftirs Frühstück. Nach dem Fruchtsaft — wegen der Vitaminzufuhr — folgten beachtliche Portionen von Rühreiern mit Schinken, gebratener Speck, Toast und Ahornsirup, frische Waffeln mit Erdbeermarmelade und ein Teller Cornflakes mit heißer Milch. Dazu trank er Unmengen starken Kaffee.
    Das Frühstück wurde von seiner Frau pünktlich um halb acht früh serviert, und ebenso pünktlich stellte sich Josuah Murdock ein. Er wohnte in der anderen Hälfte des Zweifamilienhauses, war Professor und Junggeselle.
    Aris und Murdock hatten sich zufällig einmal im Garten gesehen, ein paar Worte miteinander gesprochen und waren seither Freunde. Die Frau des Lieutenants hatte die Idee gehabt, daß Murdock morgens bei ihnen frühstücken sollte. »Damit der Professor nicht eines Tages aufwacht und feststellen muß, daß er verhungert ist, weil er das Essen vergessen hat«, sagte sie und hatte nicht so unrecht.
    Auch an diesem Morgen erschien Murdock pünktlich in der Verandatür.
    »Guten Morgen, Elisabeth«, sagte er. »Guten Morgen, Lieutenant.«
    »Guten Morgen, Professor. Setz dich.«
    Zu ihrem Ritual gehörte, daß sie sich mit ihren Titeln ansprachen. Während sich die beiden Männer übers Frühstück hermachten, brühte die Frau des Lieutenants schon die zweite Kanne Kaffee auf. Sie kamen morgens nie mit einer Kanne aus.
    »Was gibt’s Neues in der Philosophie?« fragte Aris und nahm sich eine zweite Portion Rühreier.
    »Neuigkeiten im Sinne banaler Ereignisse interessieren die Philosophie nicht sonderlich. Was gibt es bei dir?« Aris zuckte die Achseln.
    »Wir haben gestern vom FBI-Labor in Washington den endgültigen Untersuchungsbefund über die schwarzen Haare bekommen, die wir auf der Schulter des Mädchens fanden. Du erinnerst dich?«
    »Ein blondes Mädchen, neben dem lange, dunkle Haare aufgefunden wurden. Ja. Du hast es seinerzeit erzählt. Und was sagt das FBI über die Haare?«
    »Erstens Frauenhaar, zweitens von einer Angehörigen der weißen Rasse, drittens nicht gefärbt und viertens mit einer Brennschere behandelt. Ach so, ja: Fünftens abgeschnitten. Nicht ausgerissen oder ausgefallen. Abgeschnitten.«
    Murdock spülte seinen letzten Bissen mit Kaffee hinunter.
    »Das ist interessant«, behauptete er. »Interessant? Das ist verdammt rätselhaft«, widersprach Aris.
    »Wieso?«
    »Alle Welt nahm bisher an, daß es sich bei dem Eisenbahnmörder um einen Mann handeln müsse. Kann man diese Annahme jetzt noch aufrechterhalten?«
    »Warum nicht?«
    »Wenn der Mörder ein Mann war, Professor, woher —

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