0509 - Der Würger auf dem Schienenstrang
sagen, wenn die meine Fingerabdrücke kriegen?«
Tony bemerkte meine bekümmerte Miene und redete mir tröstend zu: »Nimms’ nicht so tragisch, Kumpel. Einmal müssen die uns hier ja doch wieder laufen lassen. Inzwischen hast du ein Dach über dem Kopf, heute abend werden sie uns sicher ein Feldbett reinbringen, und da können wir mal richtig ausschlafen. Jedes Ding hat zwei Seiten. Wo willst du hin, wenn sie dich rauslassen?«
Ich zuckte mit den Achseln.
»Wo’s langgeht.«
»Geh südwärts, Kumpel. Es kommen bald die kalten Nächte. Im Norden kannst du glatt erfrieren. Wärst nicht der erste, den sie morgens steif wie ein Brett von einem Güterzug heruntergeholt haben. So schlimm wird es im Süden nie, nicht um den Golf von Mexiko herum.«
»Willst du da runter?«
Bananen-Tony nickte.
»Aber ganz bestimmt!« versicherte er. »Lieber ein Vierteljahr lang Regen als zwanzig Grad unter Null.« Er zeigte auf die Pritsche: »Du siehst müde aus. Leg dich lang, wenn du schlafen willst. Ich sitze schon seit vorgestern hier und bin ausgeschlafen. Meine Fingerabdrücke haben sie an das FBI geschickt. Ich könnte mich amüsieren. Jetzt bin ich schon seit elf Jahren auf der Walze und werde plötzlich so wichtig, daß sich die Burschen in Washington mit mir beschäftigen müssen.«
Seine Einladung kam mir genau recht. Ich streckte mich auf der Pritsche aus und war ein paar Minuten später auch schon eingeschlafen. Bananen-Tony hatte sich auf dem Hocker niedergelassen und eine kleine Mundharmonika zum Vorschein gebracht. Er blies leise alte, schwermütige Lieder, die mich einlullten, als wären sie ein Schlafmittel.
Wach wurde ich, als mich jemand rüttelte. Verschlafen blickte ich hoch und sah in das pergamentfarbene, zerknitterte Antlitz von Bananen-Tony. In seinen grauen Augen glitzerten übermütige Funken, als ob er sich ständig über irgend etwas belustigte.
»Ich muß raus, Kumpel«, sagte er. »Meine Freunde in Washington haben bestätigt, daß ich ein ehrenwerter Mann bin. Mir wäre es lieber gewesen, sie hätten das erst morgen früh getan, dann hätte ich für die Nacht noch ein Dach überm Kopf gehabt. Aber Ordnung muß sein, und nach der Verfassung habe ich ein Recht auf ein schnelles Verfahren, damit meine Freiheit keine Stunde länger als unbedingt nötig eingeschränkt wird.«
»Du weißt aber verdammt genau Bescheid«, sagte ich und setzte mich auf. Er lachte breit.
»Wenn du schon so oft in Sheriffund Polizeibüros herumgesessen hättest wie ich, könntest du auch ganze Arien über diesen Paragraphenquatsch singen. Wie ist das, kommst du nächste Woche nach ›Tramp’s Lane‹?«
»Was ist das?«
Er stutzte und sah mich plötzlich mißtrauisch an. Ich spürte sofort, daß ich irgendeinen Fehler gemacht hatte. Offenbar wußte ein richtiger Tramp, was ›Tramp’s Lane‹ zu bedeuten hatte. Aber ich war ganz sicher, daß Jimmy Don McKenzie nie ein Wort darüber verloren hatte. Aber jetzt galt es schnell sein Mißtrauen zu überwinden. Also sagte ich:
»Camp Shane? Hört sich nach einer Militärgarnison an. Wo ist das?«
Tonys Gesicht erhellte sich wieder. Sein Mißtrauen verflog.
»Du hast mich falsch verstanden. Ich sprach von ›Tramp’s Lane‹! Kommst du auch?«
»Na klar«, sagte ich. »Das werde ich mir doch nicht entgehen lassen.«
Tony klopfte mir auf die Schulter. »Fein. Dann sehen wir uns ja nächste Woche. Bis dann, Kumpel!«
»Bis dann«, sagte ich lahm, sah ihm nach und zerbrach mir den Kopf, was zum Teufel »Tramp’s Lane« sein mochte.
***
Zwei Tage später führte mich Jimmy wieder ins Office des Sheriffs. Der hielt mir ein Telegramm entgegen. Ich nahm es und las:
»FBI HEADQUARTERS WASHINGTON AN SHERIFF JOE WOLCOTT CHEESEAVILLE KANSAS STOP EINGESANDTE PRINTS IDENTIFIZIERT ALS JERRY COTTON US-BÜRGER RASSE WEISS NICHT VORBESTRAFT NICHT ZUR FAHNDUNG AUSGESCHRIEBEN STOP COTTON UNSERES WISSENS ABSOLUT HARMLOSE PERSON ALLERDINGS MIT NEIGUNG ZUM ANGEBEN STOP EMPFEHLEN UMGEHEND FREILASSUNG STOP MABLETON ASSISTENT DIRECTOR OF THE FBI«
Na warte, dachte ich. Neigung zum Angeben! Wenn ich dich das nächste Mal in Washington sehe, alter Freund Mableton, dann werde ich dir was erzählen. Ich kann mir richtig vorstellen, wie du mit meiner Fingerabdruckkarte durch die Zentrale marschiert bist und überall gefragt hast: »Da ist so ein Sheriff irgendwo in Kansas, der anfragt, ob was gegen Cotton vorliegt. Hat jemand etwas gegen diesen Landstreicher vorzubringen und sollen wir ihn
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