051 - Die gelbe Schlange
sich nur auf mich!« Er nickte ihr zu und war im nächsten Augenblick gegangen.
Joan hörte, wie das Auto näherkam. Sie stand mühsam auf, ging zum Fenster und bemerkte, daß die Gardine beiseite geschoben war. Jetzt wurden die großen Scheinwerfer sichtbar und bogen in die Auffahrt ein. Die Gartentür klappte zu, und Joan sah Clifford Lynne quer über den Weg auf die Rhododendronbüsche zueilen. Noch bevor er ganz außer Sicht war, hielt der Wagen vor dem Haus, und Stephen Narth schaltete das Licht an.
Von ihrem Standort aus konnte Joan die kleine Gruppe gut sehen. Stephen in seinem weißen Frackhemd schien ungewöhnlich bleich zu sein. Neben ihm standen seine Töchter in ihren überreichen Abendroben. Stephen benahm sich sehr seltsam, in seinen Bewegungen lag etwas nervös Zauderndes. Er hatte es nicht eilig, ins Haus einzutreten. Zweimal ging er um den Wagen herum, dann sprach er zu dem Chauffeur, und erst, als Joan schon die Schritte der Mädchen auf der Treppe hörte, folgte er ihnen zögernd.
Die Schlafzimmer der beiden Schwestern lagen im ersten Stock. Joan hörte Lettys hohe Stimme und die tiefere Mabels, dann mischte sich auch Mr. Narth in das Gespräch.
»... Warum soll es ihr nicht gut gehen?« rief Letty unmutig. »Ich verstehe dich nicht, Vater!«
Joan ging durch ihr Zimmer und öffnete leise die Tür.
»Warum sollte ihr denn etwas fehlen?« mischte sich Mabel ein. »Das ist doch wirklich Unsinn, Papa. Du wirst sie nur aufwecken... wie töricht!«
Stephens schwere Tritte waren jetzt auf der Treppe zu hören, und Joan zog sich schnell zurück. Gleich darauf klopfte es, und Stephen Narth stand vor ihr.
»Hallo!«, begrüßte er sie heiser. »Alles in Ordnung?«
Sein Gesicht war aschfahl, 'seine Lippen bebten. Die Hände hatte er in die Taschen gesteckt, damit sie nicht sehen sollte, wie sie zitterten.
»Nichts passiert?« krächzte er, schob seinen Kopf nach vorn und stierte sie an. Wie er so dastand, glich er einem seltsamen Vogel. »Wirklich alles in Ordnung, Joan?«
Seme Stimme war so belegt und sein Benehmen so sonderbar, daß Joan es sich nur damit erklären konnte, daß er zu viel getrunken hatte.
»Hat dich wirklich niemand beunruhigt? Na, das ist gut... Die Mädchen haben dich wohl aufgeweckt. Gute Nacht, Joan.«
Mit unsicheren Schritten stolperte er die Treppe hinunter, und Joan schloß verwundert die Tür hinter ihm.
Am nächsten Morgen hatte sie noch mehr Grund, sich zu wundern, denn als sie ihr einsames Frühstück einnahm, erfuhr sie, daß der Diener am vergangenen Abend nach dem Dinner das Haus verlassen hatte. Mr. Narth hatte ihn telefonisch angewiesen, ihm ein Buch in die Stadt zu bringen. Aus welchem Grunde brauchte Narth so spät in der Nacht ein Buch? Der Abend war doch vollständig damit ausgefüllt, daß Stephen Narth sich seinen Töchtern widmen mußte. Nur Narth hätte es erklären können, aber diese Erklärung hätte wohl niemand zufriedengestellt.
Erst um elf Uhr kam der Hausherr zum Frühstück herunter, nervös und gereizt, so, als ob er keinen Schlaf gefunden hätte.
»Die Mädchen noch nicht aufgestanden, wie?« Bei solchen Gelegenheiten sprach er hastig und abgerissen, und gewöhnlich war die Folge einer durchwachten Nacht, daß er sich am nächsten Morgen unleidlich aufführte. Aber obgleich Joan einen Ausbruch seiner schlechten Laune befürchtete, war er ungewohnt friedlich.
»Wir müssen jetzt an deine Hochzeit denken, Joan«, begann er, als er mit einer angewiderten Grimasse den reichgedeckten Tisch überblickte und sich niederließ. Offenbar hatte er keinen Appetit. »Dieser Clifford ist ein guter Bursche. Mir ist bloß peinlich, daß ich nicht wußte, daß er Seniorpartner ist, und ich bin wirklich froh, daß ich ihm nicht noch mehr Unangenehmes gesagt habe.«
»Wir werden am nächsten Freitag heiraten«, erklärte Joan ruhig, und Stephen starrte sie mit einem Ausdruck äußerster Bestürzung an.
»Am Freitag?« stieß er mit überschnappender Stimme hervor. »Unmöglich - unmöglich! Diese Eile ist unfein! Warum denn so schnell, du kennst den Mann doch noch gar nicht!«
In ohnmächtiger Wut sprang er von seinem Stuhl auf.
»Ich dulde das nicht! Du hast dich nach mir zu richten! Weiß Mabel schon davon?«
Erstaunlich, daß Mabel ihm nichts davon erzählt hatte, dachte Joan. Später erfuhr sie, daß Mr. Narths älteste Tochter diese Sensation für einen privaten Familienrat aufbewahrt hatte.
»Wo bleibt hier Anstand und Sitte?« stieß Narth mit
Weitere Kostenlose Bücher