051 - Die gelbe Schlange
Schuhe und grollte:
»Wenn du der einzige Mensch wärst, den ich je auf dieser Welt getroffen hätte, dann würde ich sagen, das Leben sei komisch. Aber so ist es verdammt ernst! Hast du die Zeitungen gelesen?«
Joe nickte und langte lässig nach einem Stoß Zeitungen, die auf dem Tisch lagen.
»Ja, ich habe von der Ermordung der Missionare in Honan gelesen, aber da gibt es ja immer Scherereien. Zu viele hungernde Soldaten streifen da herum. Wenn keine Soldaten da wären, würde es auch keine Räuber geben.«
»Dies ist der neunte Missionar, der in diesem Monat ermordet wurde«, sagte Clifford kurz, »und diese Soldaten sind die bestdisziplinierten in China - was natürlich auch nicht viel besagt, gebe ich zu. Aber die Soldaten waren an der Sache beteiligt, sie trugen Fahnen mit der Inschrift: ›Wir grüßen den Sohn des Himmels‹. Weißt du, was das bedeutet? Das bedeutet, daß in China ein neuer Anwärter auf den Kaiserthron aufgetreten ist.«
Joe machte eine abwehrende Handbewegung:
»Ich habe niemals viel von Chinesen gehalten, die mit Gewehren ausgerüstet waren«, erklärte er. »Das demoralisiert sie, Cliff. Glaubst du, daß es Unruhen in Siangtan geben wird? Dann muß ich sofort zurück!«
»Du wirst hierbleiben«, befahl Clifford. »Ich denke nicht, daß es in diesem Teil Chinas zu Unruhen kommen wird. Wir zahlen dem Gouverneur zu viel, als daß er so etwas riskieren würde. Aber an siebzehn verschiedenen Stellen in China herrscht offene Revolution.« Er nahm aus einem Schreibtischfach eine Landkarte und entfaltete sie. Joe konnte sehen, daß an manchen Stellen rote Kreuze eingezeichnet waren. »In den Zeitungen nennen sie es ›Unruhen‹ und sie geben die Schuld daran der schlechten Reisernte und einem Erdbeben, das allerdings Hunderte von Meilen entfernt stattgefunden hat.«
Der alte Joe wälzte sich hoch.
»Was hat das alles zu bedeuten?« forschte er und musterte Lynne mit zusammengekniffenen Augen. »Das ist das erste Mal, daß du dich für chinesische Krawalle interessierst. Was steckt denn wirklich dahinter? Kann uns das berühren?«
Lynne faltete die Karte zusammen.
»Ein Regierungssturz würde uns schon beträchtlich schaden«, sagte er. »Honan kümmert mich wenig, das ist von jeher eine Räuberprovinz gewesen. Aber auch in Yünnan waren Unruhen, und wenn es schon in Yünnan losgeht, scheinen die Dinge ziemlich weit fortgeschritten zu sein. Von irgendeiner Seite aus wird heftig für eine neue Dynastie gearbeitet - und die Fahnen der Aufrührer tragen alle das Symbol der ›Freudigen Hände‹!«
Der alte Joe saß mit offenem Munde da.
»Aber das ist doch bloß eine kleine verrückte Gesellschaft -«
»Acht Provinzen stehen geschlossen hinter den ›Freudigen Händen‹«, unterbrach Clifford ihn. »Und in jeder Provinz hat Fing Su ein Hauptquartier. Übrigens hat er uns schamlos hinters Licht geführt - das Geld, das er aus unserer Gesellschaft gezogen hat, benützte er dazu, eine Konkurrenzfirma aufzubauen.«
»Das kann er nicht getan haben!« ächzte Joe.
»Geh zum Tower und wirf einen Blick auf Peking House, das ist das Londoner Büro dieser Handelsgesellschaft, und die Befehlszentrale des ›Kaisers‹ Fing Su!«
Der alte Joe Bray konnte nur den Kopf schütteln.
»Kaiser - mein Gott! Wie Napoleon!«
»In drei Monaten wird er Geld brauchen - viel Geld! Augenblicklich finanziert er nur einige Generäle, aber lange kann das nicht so weitergehen. Sein Plan ist, eine große Nationalarmee unter Spedwell zu bilden, der China ja zur Genüge kennt. Wenn Fing Su das geschafft hat, will er sich selbst auf den Thron setzen. Weiß der Himmel, wer ihn auf diese Idee gebracht hat!«
Mr. Bray schien peinlich berührt zu sein, und irgend etwas in seiner Haltung zog die Aufmerksamkeit seines Teilhabers auf sich.
»Du warst es! Oh, du verrückter alter Kerl, du hast ihn auf diese Idee gebracht!« brauste Clifford auf.
»Gewiß habe ich ihm Ideen eingegeben«, gestand Joe, der sich sehr unbehaglich fühlte, »ich habe ihm abenteuerliche Geschichten erzählt, um seinen Ehrgeiz anzuspornen. Du weißt, daß ich eine wunderbare Einbildungskraft besitze, und ich hätte bestimmt schon Romane verfaßt, wenn ich nur richtig schreiben könnte!«
»Und ich vermute, du hast ihm ausgemalt, was China leisten könnte, wenn es unter einem Kaiser vereint wäre?«
»Ja, so etwas Ähnliches.« Joe Bray wagte nicht, seinem Partner in die Augen zu sehen. »Aber es war doch nur, um seinen Ehrgeiz zu wecken,
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