051 - Die gelbe Schlange
zitteriger Stimme hervor. Sein Benehmen war so erstaunlich, daß Joan ihn nur anstarren konnte. »Da ist noch eine Menge vorher zu erledigen - bevor du heiratest. Du bist mir einiges schuldig, Joan. Du wirst deinen Bruder nicht vergessen haben -«
»Dazu haben Sie mir nicht viel Möglichkeit gegeben, Mr. Narth«, entgegnete sie erzürnt. »Nur, weil ich an meinen Bruder dachte, gab ich meine Einwilligung zu dieser Heirat. Clifford Lynne wünscht, daß die Hochzeit am Freitag stattfindet, und ich bin damit einverstanden.« »Habe ich denn überhaupt nichts mehr zu sagen?« brach er stürmisch los. »Werde ich überhaupt nicht mehr gefragt?«
»Besprechen Sie das mit meinem Verlobten«, antwortete das Mädchen kühl.
»Warte doch, warte!« rief Narth hinter Joan her, als sie das Zimmer verließ. »Wir wollen uns doch nicht aufregen. Ich habe einen ganz bestimmten Grund, warum ich dich bitten muß, die Hochzeit auf später zu verschieben - Was gibt's denn?« fragte er nervös den eben zurückgekehrten Diener, der - noch im Straßenanzug - in der Tür erschien.
»Wünschen Sie Mr. Lynne zu empfangen, Sir?« fragte der Mann.
»Will er denn mich sprechen? Sind Sie sicher, daß er nicht Miss Joan meint?«
»Er fragte ausdrücklich nach Ihnen, Sir.«
Narth setzte mit zitternder Hand die Tasse nieder.
»Führen Sie ihn in die Bibliothek«, befahl er unwirsch und wappnete sich für eine Unterredung, von der er ahnte, daß sie recht unangenehm werden würde; und in diesem Fall hatte ihn seine Ahnung auch nicht betrogen, denn Clifford Lynne war gekommen, um ihm einige sehr unangenehme Fragen zu stellen.
21
Clifford Lynne ging in der Bibliothek auf und ab, als Mr. Narth eintrat (als ob es seine eigene wäre, beklagte sich Stephen später bitterlich seiner Tochter gegenüber). Er drehte sich abrupt um und faßte den Chef von ›Narth Brothers‹ scharf ins Auge.
»Bitte, schließen Sie die Tür!«
Dies war eher ein Befehl als eine Bitte, und es war erstaunlich, wie schnell Stephen gehorchte.
»Sie sind heute früh um vier Uhr nach Hause gekommen«, begann Clifford. »Sie haben bei Giro zu Abend gespeist, Giro schließt um ein Uhr. Was haben Sie und Ihre Töchter zwischen eins und vier getan?«
Narth wollte seinen Ohren nicht trauen.
»Darf ich fragen -«
»Falls Sie fragen wollen, mit welchem Recht ich diese Auskunft von Ihnen wünsche, können Sie sich die Mühe sparen«, versetzte Clifford kurz. »Ich möchte von Ihnen hören, was Sie zwischen eins und vier gemacht haben.«
»Ich lehne es ganz entschieden ab, Ihre Neugier zu befriedigen«, fauchte der andere wütend. »Das geht zu weit -«
»Um drei Uhr heute morgen«, unterbrach ihn der Mann aus China brüsk, »wurde der Versuch unternommen, Joan Bray aus diesem Haus zu entführen. Ist das eine Neuigkeit für Sie?«
Narth nickte stumm.
»Sie glaubten wahrscheinlich, daß der Anschlag noch nicht durchgeführt worden sei, aber Sie haben ihn erwartet. Ich stand hinter den Büschen und konnte hören, was Sie zu Ihrem Chauffeur sagten. Sie befahlen ihm, ins Haus zu kommen, nachdem er den Wagen in die Garage gebracht habe. Sie erklärten ihm, daß Sie nervös seien, weil kürzlich in der Nachbarschaft eingebrochen worden sei. Und sie waren verblüfft, als Sie Joan Bray unversehrt in ihrem Zimmer fanden.«
Bleich bis in die Lippen, war Stephen Narth unfähig zu antworten.
»Ich verlange Rechenschaft von Ihnen - wie haben Sie die Stunden zwischen eins und vier verbracht?« Cliffords Blicke durchbohrten ihn. »Sie wollten nicht zu Fing Su gehen, weil Sie nicht wollten, daß Ihre Töchter mit diesem Mann in Berührung kamen. Soll ich Ihnen sagen, was Sie getan haben?«
Narth schwieg noch immer.
»Sie sind während des Tanzes herausgegangen und haben Ihr Auto verschlossen. Sie behaupteten dann, den Schlüssel verlegt zu haben und benützten das als Vorwand, um mit den Mädchen in einen dieser Nachtklubs am Fitzroy Square zu gehen. Im rechten Augenblick haben Sie dann den Autoschlüssel in Ihrer Tasche wiedergefunden.«
Jetzt konnte Mr. Narth seine Stimme wieder gebrauchen:
»Sie sind ja beinahe ein Detektiv, Lynne. Und merkwürdigerweise haben Sie bis auf den einen Umstand recht, daß nämlich nicht ich, sondern mein Chauffeur den Wagen abschloß und den Schlüssel verlor. Glücklicherweise hatte ich den Zweitschlüssel in meiner Tasche.«
»Sie wollten nicht eher nach Hause fahren, bis die schmutzige Arbeit getan war, wie?« Cliffords Augen loderten wie Feuer.
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