051 - Die gelbe Schlange
Dieses schäbige Möbelstück mit einer Bambusplatte bildete zusammen mit einem ärmlichen Bettgestell die ganze Einrichtung des Mädchenzimmers.
Leise stahl Joan sich aus dem Bett, knipste die Lampe an und schlich auf Fußspitzen zur Tür, um zu lauschen. Es war totenstill - ihre überreizte Phantasie mußte sie getäuscht haben.
In dieser Lage konnte sie nur eines tun: sie mußte sich davon überzeugen, daß das Nebenzimmer leer war. Kurzerhand drehte sie den Schlüssel um und öffnete die Tür. Aber mit einem gellenden Schrei fuhr das Mädchen zurück.
Mitten in der Türöffnung stand eine große, ungeschlachte Gestalt mit langen, herabhängenden Armen, nackt bis zum Gürtel. Einen Augenblick starrte sie in schwarze, geschlitzte Augen, dann sprang der Chinese auf sie zu - ein brauner Arm umklammerte sie, eine schwere Hand schloß ihr den Mund. Joan wehrte sich rasend, aber sie mußte erkennen, daß ihr Angreifer nicht allein gekommen war. Hinter ihm sah sie einen zweiten, dann tauchte noch ein dritter auf. Plötzlich erinnerte sich Joan zu spät - der Bombe. Aber sie konnte sich nicht aus dem eisernen Griff befreien. Einer der Banditen zog das Laken aus ihrem Bett und breitete es auf dem Boden aus. Der Mann, der sie gepackt hatte, befahl etwas, und der dritte Chinese band ihr mit einem Seidenschal den Mund zu. Doch unversehens lösten sich die Arme, die sie umklammert hielten.
Joan schaute in die Teufelsfratze und sah, wie sich der Mund zu einer grauenhaften Grimasse verzog. Die großen Hände des Kerls stießen in die Luft, als ob sie eine schreckliche Vision abwehren wollten. Joan drehte den Kopf in die Richtung, in die der Chinese entsetzt starrte.
In der Türöffnung stand Clifford Lynne, die Hände an den Hüften, und in jeder Hand hielt er den Tod.
20
Joan Bray kam es vor, als ob sie in furchtbarem Schrecken aus dieser Welt geflohen sei und nun mühsam wieder zurückkehrte. Sie lag in ihrem Bett, entdeckte sie dann...
Vielleicht war alles nur ein Alptraum gewesen. Aber das Licht brannte, und ein Mann stand am Fußende ihres Bettes, der sie ernst ansah. Sie stützte sich auf den Ellenbogen, ihr Kopf schwindelte noch und ihre Gedanken schwammen davon. Sie runzelte die Stirn.
»Guten Morgen«, sagte Clifford Lynne gelassen. »Ihre tanzfreudigen Kusinen kommen aber spät zurück!«
Durch die Fenster drang das blasse Morgengrauen und erhellte den Himmel. Joans Gesicht war feucht, ein halbgefülltes Wasserglas stand auf ihrem Nachttisch.
»Mr. Lynne!« Sie versuchte, ihre Gedanken zusammenzunehmen. »Wo - wo -« Joan blickte sich furchtsam um.
»Ich fürchte, ich habe Sie aufgeweckt«, bedauerte Lynne und ging über ihre Frage hinweg. »Ich bin kein geübter Einbrecher, obwohl es ausgesprochen leicht war, in den Raum nebenan einzudringen. Hatten Sie mich gehört?«
Joan nickte langsam.
»Sie waren das also?« fragte sie zitternd.
Er biß sich nachdenklich auf die Lippen und sah sie noch immer an.
»Ich bin hoffnungslos kompromittiert«, erklärte er. »Das werden Sie doch wohl einsehen. Ich bin in dunkler Nacht in Ihr Haus geklettert, habe Sie zu Bett gebracht, und hier sind wir beide nun - Sie und ich - im fahlen Morgengrauen! Ich schaudere bei dem Gedanken, was Stephen Narth sagen wird oder was die dumme Mabel sich wohl einbildet. Na und Letty erst!« Er zuckte die Achseln. »Kaum auszudenken!«
Mühsam setzte Joan sich aufrecht hin, die hämmernden Schläfen mit ihren Händen umfassend.
»Machen Sie eigentlich über alles Ihre Witze?« Sie schauderte in der Erinnerung an die vergangene Nacht. »Wo sind diese furchtbaren Geschöpfe geblieben?«
»So furchtbar, wie sie aussehen, sind sie gar nicht«, sagte er leichthin. »Die Kerle sind ausgerissen, sie sind durch das Fenster entwischt, und keiner von ihnen ist schwer verletzt. Ich bin ganz froh darüber, denn einen angeschossenen Kuli habe ich schon zu Hause, und ich habe keine Lust, aus Slaters Cottage ein Krankenhaus für kriminelle Chinesen zu machen.«
Clifford beugte lauschend den Kopf vor, seine scharfen Ohren hatten in weiter Entfernung das Geräusch eines Autos gehört.
»Es klingt so, als ob Stephen mit seinen beiden Grazien zurückkommt.«
Joan sah ihn bestürzt an.
»Was werden Sie tun? Sie können nicht hierbleiben!«
Cliff lachte leise.
»Echt weiblich, sich in einem solchen Augenblick um Anstandsfragen zu sorgen!«
Dann neigte er sich ganz plötzlich zu ihr und streichelte sanft ihren schmerzenden Kopf.
»Verlassen Sie
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