051 - Die Sklaven des Vampirs
den Dächern der gegenüberliegenden Häuser sah er eine leichte Schneedecke. Die Straße war matschig und nass. Eben fuhr ein Lieferwagen vorbei, der hinter sich Dreck hochwarf.
In sechsunddreißig Stunden würde der Dämon mit seinen Knechten, den blutgierigen Vampiren, eine höllische Weinprobe veranstalten.
Nach dem reichhaltigen Frühstück – die anderen Männer erschienen später und waren unausgeschlafen – wandte sich von Schallfeldt an Dorian.
»Auf alle Fälle ist Ihnen gestern eine größere Ausgabe erspart geblieben.«
Dorian sah ihn interessiert an. »Wie das?«
»Wir waren der Meinung« – der deutsche Weinliebhaber deutete auf die Herren der Runde – »dass Lacroix uns die Flasche zur Begrüßung geschickt hatte. Geschenkt hat, sollte ich besser sagen. Der Wirt kassierte aber für diese eine Flasche einen Betrag, der starken Unwillen hervorrief.«
Der Dämonenkiller musste grinsen. »Viel?«
»Wir sind nicht gerade arm, aber der Preis überraschte uns doch. Der Wein war makellos, wie alle Weine Lacroix', aber dieser Wirt scheint ein geldgieriger Kerl zu sein.«
»Das ist sein Beruf«, meinte Susan.
Die Männer sahen sie überrascht an, als wollten sie andeuten, dass sie diese Bemerkung aus weiblichem Munde zu dieser frühen Stunde für mehr als unpassend empfanden.
Wieder musste Dorian lachen. Diese vier Männer waren auf eine ganz besondere Art weltfremd. Sie ahnten nichts. Die Figur Simons erschien jetzt für Dorian Hunter in einem deutlicheren Licht. Der Wirt war kein Vampir; und er schien auch kein Dämonenopfer zu sein; aber er war ein geldgieriger Teufel. Er selbst schien gestern nicht einen Tropfen des dämonischen Weins getrunken zu haben. Seine Nichte Irene sicher noch weniger.
»Was tun Sie heute?«, erkundigte sich Dorian später.
»Wir werden vermutlich ein wenig herumfahren, später, wenn der Schnee von der Straße weggetaut ist«, erwiderte Pascal. »Und Sie?«
Als er jetzt grinste, hatte Dorian den unverkennbar dämonischen Blick. Er sagte ironisch: »Da sich von Ihnen niemand um diese bezaubernde junge Dame kümmert, werde ich mit größtem Vergnügen einen Spaziergang mit ihr machen. Kommen Sie, Susan! Ziehen wir uns um.«
Zwanzig Minuten später stapften sie wieder in den Gummistiefeln, dick angezogen, durch den Schnee.
Dieses Mal nahmen sie einen anderen Weg. Aber wieder endete ihr Spaziergang unterhalb des Weinberges, an den Ruinen der alten Mühle und vor dem verschlossenen Doppeltor der Weinkellerei.
Der Belgier und der Sarde waren gekommen.
De Baeve, ein etwa sechzigjähriger Mann, wirkte auf den ersten Blick anziehend, auf den zweiten zweifelhaft, auf den dritten abstoßend. Er schien sehr reich zu sein, denn er war hervorragend gekleidet. Die Ringe, die Uhr, die Manschettenknöpfe und sein Auftreten verrieten guten, teuren Geschmack. Auf seinem haarlosen Schädel spiegelten sich die Flammen des Kaminfeuers. Das Gesicht war fett und verquollen. Rote und blaue Äderchen durchzogen die Haut. Die Augen waren ausdruckslos und von einem faden Blau, winzig und wässrig. Die Finger, mit kostbaren Ringen geschmückt, sahen wie fette Würstchen im weißen Darm aus.
Er warf Susan einen lüsternen Blick zu und lächelte sie wie ein Hai an.
»Die charmanteste Weintrinkerin, die ich je gesehen habe!«, sagte er heiser. »Nicht wahr, Signore?«
Gianni Arruzzu war ein Fremdkörper, ein kleiner düsterer Mann mit wildem, schwarzem Haarwuchs, der über den Schläfen fast weiß war. Er schien sich eben erst rasiert zu haben, aber die Gegend zwischen Ohren und Kinn war immer schwarz. Auch seine Kleidung wirkte düster und unmodern; schwarz und weiß, mit einem etwas altmodischen Zuschnitt. Seine Hände waren gepflegt, aber sie erinnerten an die eines unsicheren Bauern. Unruhig bewegten sich die Finger immer in der Nähe des Weinglases. »Una bella ragazza«, knurrte der Sarde und entblößte sein großes, weißes Gebiss.
Susan entzog sich einer Antwort und legte stattdessen ihre Finger auf Dorians Hand.
»Ich bin müde. Ich gehe hinauf«, sagte sie.
Das Abendessen war wieder lang und hervorragend gewesen.
»Ich komme gleich nach, Susan«, antwortete er und stand auf, um ihren Stuhl zurechtzurücken.
Gleich würde wieder die übertriebene Zeremonie der vorgezogenen Weinprobe stattfinden. Dorian musste sich indessen etwas einfallen lassen, um in zweiundzwanzig Stunden in den Weinkeller hineinzukommen. Er besaß zwar ein meisterhaft gefälschtes Siegel, aber keinen
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