0510 - Der Leichenzug
glaubst du, daß ich dir die Reise allein zumute?«
»Das weiß ich nicht. Ich dachte nur daran, daß du ja auch nicht mehr der Jüngste bist.«
»Für so etwas reicht meine Kraft.«
Ich schaute in die Ferne. »Die Strecke ist nicht elektrifiziert. Eigentlich müßte doch Rauch zu sehen sein.«
»Ist aber nicht.«
»Weshalb nicht?«
Der Pfähler lächelte wissend. Er stand da und hatte eine Hand in die Seite gestützt. »Das kann ich dir sagen, John. Dieser Zug ist nicht normal. Eine Lok und ein Wagen!«
»Mit merkwürdiger Fracht.«
»Ja, mit den Särgen«, präzisierte er.
Um die Särge ging es uns. Auch Marek hatte nicht herausgefunden, ob sie leer oder belegt waren. Er ging jedoch davon aus, daß sie irgend etwas mit Vampiren zu tun haben mußten. Das nicht allein vom Gefühl her, Marek hatte auch eine gewaltige Fledermaus in der klaren Herbstluft fliegen sehen.
Das war für ihn das Zeichen und gleichzeitig der Beweis für die Existenz eines Vampirs gewesen.
»Komm wieder weg, John.«
»Du bist ja so besorgt.«
»Nicht ohne Grund.«
Ich folgte ihm auf den Rand der Böschung, wo wir abermals die Warteposition einnahmen.
Nur hatte ich mich diesmal so hingestellt, daß ich über die Kante des Damms hinwegschauen konnte. Ich blickte in die Richtung, aus der der Zug kommen mußte.
Die Landschaft zerfloß unter den Schwingen der grauen Dämmerung. Nichts war mehr klar, ich konnte kaum Konturen ausmachen.
Alles war irgendwie anders geworden. Der Boden, der Himmel und die Landschaft dazwischen waren zu einer Soße geworden. Hinzu kamen die Schatten, die von den Bergen hinab in die Ebene flossen.
Eine gewisse Nervosität konnte ich nicht unterdrücken. Sie steigerte sich auch noch, als ich ein bekanntes Geräusch vernahm.
Das Rollen der Räder auf dem Schienenstrang.
Der Wind trug es heran. Ich schaute zu Marek hin, der es ebenfalls vernommen hatte und mir zunickte. »Gleich geht es los, John! Es dauert nicht lange, dann kannst du ihn sehen.«
Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als ich auf den Schienen ein regelrechtes Ungetüm, eine Lokomotive ausmachte. Aus dem Grau schälte sie sich ratternd hervor, wahrscheinlich gelenkt von der Schwarzen Magie, wenn es stimmte, was sich Marek ausgerechnet hatte.
Der Pfähler warnte mich noch. »Du weißt, John, daß es nicht einfach ist.«
»Sicher.«
»Willst du auf die Lok aufspringen? Ich würde davon abraten. Nimm lieber den Wagen.«
»Und du die Lok?«
»Nein, ich nehme auch den Wagen.«
»Marek mach keinen Unsinn! Ich warne dich!«
»Schon gut, John. Ich habe vieles überstanden. Jetzt werde ich den Rest auch noch schaffen.«
Er hatte einen Dickkopf, gegen den ich nicht anstinken konnte.
Was sollte es? Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Ich würde Marek nicht von seinem Tun abhalten können.
Um eine günstige Sprungposition zu erwischen, mußte ich näher an den Gleiskörper heran. Nur nicht zu dicht, sonst fegte mich die Lok unter Umständen zur Seite.
Und wie sie kam.
Sie gehörte nicht zu den größten Maschinen, dennoch erinnerte sie mich an ein Ungetüm. Der Wind wehte mir die gewaltige Geräuschkulisse entgegen, sie hüllte mich ein. Das Gleis zitterte, die Zugmaschine hatte Mühe, die Anhöhe zu erklimmen, nur fehlte das Schnaufen, das Zischen des Dampfes. Diese kleine Dampflok trieb eine andere Kraft an.
Ich machte mich sprungbereit und stemmte meine Füße so gut es ging in den weichen Boden. Schon beim ersten Sprung mußte es klappen. Rutschte ich ab und geriet ins Taumeln, lief ich in Gefahr, unter die Räder zu geraten.
Stuntmen machen so etwas im Schlaf, ich würde meine liebe Mühe damit haben.
Ein Wagen nur war an die Zugmaschine gekoppelt worden.
Eigentlich ein normales Gefährt, wenn nicht die klobigen Gegenstände vorhanden gewesen wären, die rechts und links wie breite Arme aus den Fenstern schauten.
Särge!
Dunkel und unheimlich ansehend, ragten die schwarzen Totenkisten aus den Fenstern. Bei jeder kleinen Unebenheit des Schienenstranges machten sie die Schwingungen mit.
Der Minizug war tatsächlich langsamer geworden. Die Steigung forderte ihren Tribut.
Bevor ich mich auf den Sprung konzentrierte, schaute ich mich noch einmal um.
Marek stand schräg hinter mir. Auch er war sprungbereit. Sein Gesicht zeigte eine starke Konzentration. Ihm würde es wesentlich schwerer fallen als mir.
Er hatte vor, sich an einem der Särge festzuklammern. Ich wiederum wollte nach dem Griff schnappen, mich daran festhalten
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