0510 - Der Leichenzug
Lampe gab genügend Licht, um zu sehen, wie leicht die Dinger zu öffnen waren. Mit zwei Handgriffen hatte ich es geschafft.
Dann zog ich den Deckel hoch und nahm sicherheitshalber die Beretta in die Hand, deren Mündung schräg in den jetzt offenen Sarg zielte – und ins Leere wies.
Es lag kein Vampir darin.
Sollte ich lachen, den Kopf schütteln, fluchen oder trampeln?
Nichts tat ich, leuchtete nur das Sarginnere von rechts nach links aus und fand trotzdem etwas.
Es war der Staub, der mir auffiel. Manchmal glitzerte er sogar, wenn das helle Licht ihn traf, als würden innerhalb der kaum erkennen baren Körnchen winzige Diamantsplitter liegen. Möglicherweise auch Knochensplitter…
Genau untersuchte ich dies nicht. Ich wollte auch nicht die übrigen Särge öffnen. Um zu erkennen, ob jemand darin lag, reichte auch ein Klopfen.
Der Klang verriet mir, daß die übrigen sechs Särge leer waren. Mit acht Särgen war der Zug losgefahren. Einer lag draußen, von Marek herausgerissen, und ich fuhr mit sieben Särgen einer Endstation entgegen, die auch die Hölle sein konnte.
Ich ging zum offenen Fenster, aus dem ich mich lehnte. Der Fahrtwind schlug wie eine Peitsche in mein Gesicht. Er biß in meine Augen, so daß sie zu tränen anfingen.
Das Gelände hatte sich verändert. Meiner Ansicht nach mußten wir uns auf einem höher gelegenen Plateau bewegen. Die Berge – gewaltige Schatten – waren näher gerückt, standen aber noch so weit entfernt, daß zwischen dem Schienenstrang und ihnen viel Platz war. Eine freie Fläche, auf der kein Baum, kein Strauch und auch kein Gras wuchsen. Dafür der blanke Fels, der glänzte, als wäre er mit einer dünnen, lackähnlichen Farbschicht bestrichen worden.
Über mir bildete der Himmel eine dunkle Wand, in der sich sehr schwach das Auge des Vollmonds abzeichnete. Der Erdtrabant lag noch hinter einer dünnen Wolkenschicht versteckt, die wie ein feiner Schleier aus Nebel wirkte.
Natürlich hätte ich aus dem Fenster klettern und abspringen können, das verkniff ich mir jedoch, weil ich herausbekommen wollte, wo der unheimliche Zug hinfuhr und welche Kraft ihn schließlich bis zur Endstation leitete.
Rumänien ist das klassische Land der Vampire. Hier haben die Blutsauger ihre Heimat, in diesem Land hat Graf Dracula regiert und seine grausamen Taten verübt.
Er war kein Vampir im eigentlichen Sinne, aber etwas lauerte trotzdem in den finsteren Tälern der Karpaten, dieser schwarzen Berge, die noch so menschenleer waren.
Auch der Zug mußte ein makabres Geheimnis verstecken. Ich hatte einen Sarg geöffnet und nur Staub gefunden.
War es der Staub eines Vampirs gewesen oder die Reste eines begrabenen Menschen?
Auf diese Fragen konnte ich mir leider keine Antwort geben. Nur mußte es einen Grund für den Transport der Särge geben.
Ich hatte mich wieder zurückgezogen. Der Wind war einfach zu kalt. Meine Augen fingen schon fast an zu tränen.
Durch die verschiedenen Öffnungen fegte der Wind. An einer gewissen Stelle innerhalb des Wagens trafen die Strömungen zusammen. Da heulte und pfiff es um meine Ohren.
Ich schritt durch den Mittelgang. Die Strecke war ziemlich schlecht, denn der Wagen geriet ins Schwanken, so daß ich mich an den Haltestangen festklammern mußte.
Die Särge schabten, bewegten sich und klapperten auch manchmal, ansonsten vernahm ich keine Geräusche.
Wer fuhr die Lok?
Ich hatte keinen Menschen und auch keinen Vampir im Führerstand entdecken können. Sie rollte von allein ihrem Ziel entgegen. Wieder schaute ich aus dem Fenster.
Die Schatten der Berge waren nähergerückt. Bedrohlich sah es aus.
Der Wind trieb mir den herbstlichen Geruch von allmählich faulenden Blättern in die Nase.
Ich schielte in die Höhe.
Der Himmel war kaum noch zu sehen. Nur ein dünner, grauer Ausschnitt. Dafür nahmen mir die schroffen Kanten der Berge die Sicht, die so hoch wuchsen, daß sie – aus meiner Perspektive gesehen – fast mit ihren Graten den Nachthimmel berührten.
An der anderen Seite sah es ebenso aus. Für mich ein Zeichen, daß wir durch eine Schlucht rollten, durch einen Canyon, wie man in den Staaten dazu sagte.
Die Schlucht verengte sich noch weiter. Hier ballte sich die Dunkelheit zusammen, deshalb bekam ich den Eindruck, durch einen Tunnel zu rollen.
Jeder Tunnel, jede Schlucht hat irgendwann ein Ende. Auch diesem hier mußte es so gehen.
Wieder lehnte ich mich aus dem Fenster. Zwischen Innenwand und Zug war die Distanz so schmal
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