0510 - Der Leichenzug
diesem makabren Punkt.
Der Vampir kippte zurück. Er beeinträchtigte nicht mehr das Blickfeld des Pfählers, der mich jetzt sah und dessen Augen einen staunenden Ausdruck bekamen.
Auch Unglaube spiegelte sich in seinen Pupillen wider. Er konnte es einfach nicht fassen.
Ich hatte die Beretta gezogen.
Der dritte Vampir drehte den Kopf. Er nahm auch seine Hand von Mareks Mund, der scharf nach Luft schnappte und keuchend sagte:
»Laß mich es machen, John! Laß ihn mir!«
»Oder mir!«
Ich schrak zusammen, als die bekannte Stimme hinter mir aus dem Nebel tönte.
Suko hatte gesprochen. Er stellte sich neben mich und meinte: »Es ist keine Täuschung, John. Ich bin es tatsächlich.«
»Das sehe ich.«
Wir redeten nicht mehr weiter, weil uns die Reaktion des Blutsaugers interessierte. Obwohl es sich bei ihm um einen Untoten handelte, bekam er in gewissen Situationen fast menschliche Züge.
So auch hier, denn die Angst, die er spürte, sahen wir seinen Bewegungen an, mit denen er sich zurückzog.
Er wollte fliehen, das war klar, aber Marek konnte es nicht zulassen, ebensowenig wie wir.
Der Pfähler kroch auf allen vieren zur Seite, bevor er sich auf die Beine stemmte.
»John, die Waffe!«
Ich zog den Silberdolch und warf ihn rüber. Marek fing ihn auf und kreiselte damit herum.
Er und der Blutsauger starrten sich an. Das Gesicht des Vampirs glich einem starren Nebelfleck. Mareks Züge zeigten einen verbissenen Ausdruck. Ich las den Willen darin, es endlich zu tun, aber auch den Zorn auf diesen Seelenlosen.
Er ging vor. Schritt für Schritt. In dem gleichen Tempo wich der Vampir zurück, bis er mit dem Rücken gegen einen Baumstamm stieß, der ihn aufhielt.
Er wollte um den Stamm herum, doch Marek war schneller. Und wie schnell er sein konnte.
Er flog dem Vampir förmlich entgegen. Sein Körper war gestreckt, den Arm hatte er nach vorn gestemmt, dann wurden aus zwei Gestalten plötzlich eine. Es gab keinen Kampf, aber eine Gestalt löste sich von der zweiten. Sie rutschte an ihr entlang zu Boden, versuchte noch, sich an den Hüften des Pfählers festzuhalten, aber die Kraft hatte ihn längst verlassen. Er sank als Staub und Knochen zusammen.
Frantisek Marek drehte sich um. Mit steifen Schritten kam er auf uns zu. »Danke, John, danke auch dir, Suko.«
Dann gab er mir den Dolch zurück, ging zur Seite und hob seinen Eichenpflock auf.
»Der paßt besser zu mir«, erklärte er…
***
Außer einem fürchterlichen Schreck hatte Manuela Micek nichts weiter abbekommen. Wir fanden sie völlig verstört zusammen mit ihren Eltern auf dem Zimmer, und erst Marek war in der Lage, alles zu erklären. Die Miceks starrten ihn an, hörten ihm zu. Glauben konnten sie ihm kaum, das sahen auch Suko und ich.
Eine halbe Stunde später waren wir wieder zu dritt. »Es gibt keine Vampire mehr«, sagte Marek, als wir zu ihm gingen. »Sie sind alle erledigt worden. Der Fluch des Blutbergs konnte gebrochen werden.« Von mir hatte er die einzelnen Zusammenhänge erfahren.
»Und der Zug?« fragte Suko.
»Den können wir ins Museum stellen. Vielleicht sollte jemand ein Vampir-Museum eröffnen. Das wäre mal etwas Neues.«
»Stimmt«, bestätigte ich. »Ein Voodoo-Museum gibt es bereits. Ich habe es in New Orleans kennengelernt.«
»Könnt ihr denn noch schlafen?« fragte Marek, als wir das Haus betraten.
»Nein.«
»Dann werden wir eben jetzt zusammen einen kleinen Schluck nehmen.«
Ich war sofort mißtrauisch. »Meinst du denn damit deinen Selbstgebrauten?«
»So ist es.«
»Gut, aber nur einen.«
Ich bekam auch einen. Nur war das Wasserglas bis eine Fingerbreite unter den Rand vollgeschenkt.
Suko zog ein Gesicht, als sollte er Essig trinken. Vielleicht war dieses Gesöff sogar noch schlimmer für ihn.
Marek hob sein Glas an. Er lächelte und sagte: »Meine Finger zittern nicht. Ein gutes Zeichen in meinem Alter.« Er atmete durch die Nase ein. »Freunde, auf daß wir noch öfter zusammenarbeiten werden und die Vampirpest auf der Welt ausrotten können. Sie darf nicht leben, sie darf auch nicht überleben!«
Darauf stießen wir an.
Daß Suko und ich nach dem Selbstgebrannten allerdings überlebten, kam mir schon wie ein kleines Wunder vor. Ich hatte das Zeug ja besser verdaut.
Suko aber kämpfte Stunden später noch gegen das Sodbrennen an und schwor sich, den Selbstgebrannten nie mehr anzurühren…
ENDE
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