0513 - Sandra und die Mördermaske
eine Tüte gesteckt. Ihr Fahrzeug parkte neben dem Supermarkt. Es war ein mieser Herbsttag, an dem es überhaupt nicht richtig hell geworden war. Die Wolken lagen tief. Sie krochen wie dicke Nebelbälle über die Straßen. Hin und wieder nieselte es.
Der feine Sprüh rann in die Gesichter, näßte sie und drang auch durch die Kleidung. Wenn Wind aufkam, war es besonders schlimm.
Sandra öffnete die Tür und stellte die Tüte auf den Beifahrersitz.
Es war Nachmittag, aber ohne Licht konnte sie nicht fahren. Sie lenkte den Wagen vom Parkplatz und mitten hinein in den verfluchten Londoner City-Verkehr. Staus waren nichts Ungewöhnliches, bei diesem Wetter aber waren sie besonders schlimm. Wie viele tausend anderer Autofahrer auch, quälte sich Sandra Wieran durch den Brei.
Sie wohnte, wo man eigentlich in London wohnen mußte, wenn man der Leiter des Erfolges nach oben klettern wollte.
Im vornehmen Westteil der Stadt, südlich des Hyde-Parks zwischen Chelsea und South Kensington. Ihr Apartment befand sich nahe der Fullham Road, in einem Haus, das schon einige Jahre auf dem Buckel hatte, aber noch immer top aussah.
Es war inmitten einer kleinen Grünfläche gebaut worden, auf der Sandra auch parken konnte.
Fast eine Stunde steckte sie im Verkehr. Als sie endlich neben dem Haus aus dem Porsche stieg, sehnte sie sich nach einem Bad, nach einem Glas Champagner, nach der Musik von Chopin, bei der sie so herrlich entspannen konnte.
Darauf würde sie heute verzichten müssen. Auf das Bad nicht, auf die Beigaben, sie mußte sich einfach um ihren Bruder kümmern und ihm einige Fragen stellen.
Er hatte schon auf sie gewartet und auch ihre Schritte im breiten Flur gehört.
Basil öffnete die Tür, starrte sie an, lächelte etwas fade und nahm ihr die Tüte ab.
»Danke, daß du so früh gekommen bist.«
»Das war selbstverständlich.«
Sie schloß die Tür. Die Wohnung war hell und freundlich eingerichtet. Weiße Wände, geschmückt mit modernen Grafiken und Lichtquellen, die futuristisch wirkten.
Im großen Wohnraum, durch das Herausnehmen einer Wand waren aus zwei Räumen einer geworden, setzte sich das Hell der Wände fort. Viel Weiß, auch die Möbel, dafür als Kontrast ein schwarzer Teppich, in dem die roten Dreiecke wie aufgemalt wirkten. Die Couch bestand aus weichem Stoff, eine Zusammenballung, kleiner, loser Kissen. Dunkel waren die beiden Schränke mit ihren gebogenen schmalen Glasfronten und auch die elektronischen Geräte, wie die Stereo-Anlage und der Fernseher.
Sandra hatte ihre Schuhe von den Füßen geschleudert und schaute Basil an.
»Jetzt siehst du wieder aus wie ein Mensch.«
Er lächelte verlegen. »Die Kleidung ist jetzt modern?«
»Ja, das Grün der Jacke, die braune Hose, das Hemd mit dem Reißverschluß am Kragen, auch die Schuhe. Dick, aber dennoch weich und vor allen Dingen zweifarbig.«
»Du bist immer auf der Höhe, wie?«
Sandra lachte. »Das brauche ich in meinem Job auch. Ich muß da mit gutem Beispiel vorangehen, wenn ich Werbung für bestimmte Produkte machen will.«
»Das kann ich mir denken. Da habe ich wohl in einer völlig anderen Welt gelebt.«
»Bestimmt.«
»Kann ich was für dich tun, Sandra?«
»Ja. Sei mir nicht böse, wenn ich dir das sage.« Sie ging im Raum auf und ab. »Ich möchte mich jetzt entspannen und ein Bad nehmen. Das mache ich immer.«
»Nichts dagegen.«
»Du kannst ja solange in die Glotze schauen.«
»Das interessiert mich nicht.« Basil winkte ab. An den Augen der beiden Menschen konnte man sehen, daß es sich bei ihnen um Geschwister handelte. Der Vater hatte die gleiche dunkle Augenfarbe gehabt. Während Sandra ein sehr weibliches, weiches Gesicht besaß, wurde der Kopf des Mannes mehr von kantigen Zügen beherrscht.
Von der Energie und dem Schwung früherer Jahre war nicht mehr viel übriggeblieben, das Gesicht wirkte viel älter, die Haut grauer, als wäre sie für eine Renovierung vorgesehen.
»Ich gehe dann jetzt.«
»Ja, bis gleich.«
»Wenn du Hunger hast, Basil, ich habe eingekauft. Schau mal in der Tüte nach.«
»Mach ich.«
Das Bad war geräumig. Sandra hatte es vom Vorgänger übernommen. Ihr gefiel auch die zweite Tür, die zum Schlafzimmer führte.
Von dort holte sie frische Wäsche, während das Wasser in die schwarze Wanne lief und sich der Duft eines teuren Badegels ausbreitete.
Zehn Minuten später saß Sandra in der Wanne. Sie schielte hoch zur Decke, wo noch zwei Lautsprecher hingen. Die Anlage stand im Wohnraum.
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