0515 - Schreie aus dem Werwolf-Brunnen
Mütze ab und strich über sein graues Haar. Dann betrat er den Wohnraum, machte auch dort Licht.
Die Möbel stammten noch von seinen Eltern und seiner Frau. Sie waren wuchtig und machten das kleine Zimmer noch enger. Die Glut hinter der Sichtscheibe des Ofens leuchtete wie ein rechteckiges, rotes Höllenauge.
Für einen Moment schloß er die Augen und ließ sich dabei in den Ohrensessel fallen. Es war Paynes Lieblingsplatz. Von hier aus konnte er auf die Mattscheibe schauen.
Der Fernseher blieb stumm. Statt dessen griff er zum bereitliegenden Buch, schlug es auf und fand sofort die Seite wieder, auf der er weiterlesen mußte.
Nach fünf Minuten legte Frank Payne das Buch zur Seite. Er konnte sich an diesem Abend nicht konzentrieren. Es war wie beim Schachspiel. Nicht grundlos hatte er es abgebrochen. In diesen dunklen Stunden ging etwas vor.
Er stand auf.
Das Wohnzimmer besaß zwei Fenster. Mit einem Schritt war er aus dem Lichtbereich der alten Stehlampe mit dem Pergamentschirm heraus und ging auf das am nächsten liegende Fenster zu. In seiner Größe paßte es sich den Häusern an. Es war klein, besaß noch einen Kreuzrahmen und an den Ritzen Kitt, der auch nicht mehr der beste war, denn es zog an allen Ecken und Kanten.
Wenn der Ofen keine Wärme abgab, fand Payne nach kalten Nächten sogar Eisblumen an der Scheibe.
Er schaute nach draußen.
Sein Blick fiel dabei in eine gespenstische Nachtlandschaft. Die Bäume ähnelten gelegentlich kleinen Ungeheuern, die nur darauf warteten, nach ihm greifen zu können.
Zu sehen war nichts. Er zog sich wieder zurück. Es war schon vorgekommen, daß Jugendliche durch seinen Garten geschlichen waren, um ihn zu ärgern. Man wußte, daß er Lehrer gewesen war, aber die Streiche hatten sich in Grenzen gehalten.
Diese Nacht war anders.
Trotz der Wärme und der dicken Strickjacke rann ein Frösteln über seinen Rücken.
Es hatte den letzten Wirbel noch nicht erreicht, als Frank Payne plötzlich das Kratzen vernahm.
Ein Geräusch, das ihn warnte und gleichzeitig erschreckte. Und es war in seinem Rücken aufgeklungen – am Fenster.
So rasch wie möglich drehte er sich.
Die Scheibe war leer!
Hatte er sich vielleicht geirrt?
Das Frösteln blieb. Er schlich vor, obwohl er Furcht hatte. Wenn es sehr windig war, schlugen und kratzten die Zweige der Büsche manchmal außen gegen die Scheibe, aber das war hier nicht der Fall.
Frank Payne gehörte zu den Menschen, die eine große Lebenserfahrung besaßen und aus ihr heraus einen gewissen Mut nahmen.
Das Fenster zu öffnen, kostete ihn allerdings eine gewisse Überwindung. Er drehte den alten Metallgriff, zog zweimal kräftig, dann schwang es nach innen.
Eiskalte Nachtluft trieb den Dunst in den Raum.
Frank Payne streckte den Kopf vor.
Er schaute nach rechts, nach links, aber nicht nach unten. Das war sein Verhängnis.
Direkt unter dem Fenster und halb vom Efeu verborgen, lauerte der Mörder.
Urplötzlich war er da.
Er schoß in die Höhe und tauchte vor dem alten Lehrer auf wie ein Gespenst.
Frank Payne sah das Gesicht. Eine bleiche, blasse Fratze, von hellen Haaren umweht, die flatterten, und er schaute in Augen, in denen der Wahnsinn leuchtete.
Dann sah er das Messer.
Frank Payne kam nicht mehr dazu, einen Schrei auszustoßen. Der Killer war einfach zu schnell. Er bewegte die Klinge von rechts nach links und wartete ab, bis der Mann das Übergewicht bekam, aus dem Fenster fiel und als Toter zu Boden prallte.
Der Mörder blieb breitbeinig über ihm stehen. Aus seinem weit offen stehendem Mund drangen fürchterliche Keuchgeräusche. Allmählich verging dieser Rausch.
Er schleuderte sein Haar zurück und erinnerte sich wieder an seinen Auftrag.
Das Messer verschwand, bevor er sich bückte, die Leiche hochhob und über die Schulter wuchtete. Er hatte genaue Angaben bekommen. Danach würde er sich richten.
Wenn das vorbei war, blieb das Problem Nummer zwei.
Der Brunnen!
Auf ihn freute er sich ebenfalls…
***
Das hatte mir gerade noch gefehlt! Abbrennen und womöglich Lynch-Justiz. Dieser Redburn mußte den Verstand verloren haben, falls er jemals einen besessen hatte. Wir lebten hier nicht im Wilden Westen, sondern in einer zivilisierten Gesellschaft, obwohl ich daran auch oft zweifelte.
Ich hetzte den Weg zurück. Die Chinesen trauten sich nicht nach draußen. Sie drängten sich in den engen Gängen. Ich schaute in ihre angstvollen Gesichter und fuhr einen von ihnen an: »Wo sind sie?«
Er deutete in
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