0515 - Schreie aus dem Werwolf-Brunnen
dann geht nach Hause. Versteckt euch in euren Häusern und Wohnungen, weil ich keinen von euch mehr sehen will. Ist das klar? Habt ihr mich verstanden?«
Sie nickten.
»Sie, Redburn, bleiben. An Sie habe ich nämlich einige Fragen.«
Ich hatte ihm nicht die Luft abgedrückt, trotz meines harten Griffes.
Er konnte noch sprechen und tat das auch.
»Du verfluchter Polizist!« keuchte er. »Im Moment hast du gewonnen. Aber warte ab!«
»Das werde ich auch!« Mehr sagte ich zu ihm nicht. Für mich waren die anderen wichtiger. »Verschwinden Sie endlich!« fuhr ich die noch immer wartende Meute an. »Weg hier! Ich möchte mich nicht noch einmal wiederholen.«
Sie starrten mich an. Es waren normale Männergesichter. Manche mit älteren, andere wiederum mit jüngeren Zügen. Die Fackelträger machten den Anfang. Sie drehten sich um. Als die beiden Bewaffneten das sahen, senkten auch sie ihre Gewehre.
Ich hatte mir ihre Gesichter gut eingeprägt. Sollte ich alles überstehen, würde ich mit ihnen einige Takte reden müssen. Schließlich hatten sie geschossen, und einen Waffenschein besaßen sie bestimmt nicht.
Die Männer drehten mir und meinem »Gefangenen« die Rücken zu. Gebeugt schlichen sie über die Straße. Ihre Bewegungen wirkten, wie von der herrschenden Kälte eingefroren.
»Ihr verfluchten Feiglinge!« brüllte ihnen der Wirt nach. »Ihr verdammten Lumpenhunde. Ihr werdet euch noch wundern, wenn es zur großen Abrechnung kommt.«
»Die wird es erst einmal zwischen uns beiden geben!« erklärte ich ihm und zischte die Worte in sein Ohr. Ich drehte ihn blitzschnell herum, so daß ich ihn in den Flur stoßen konnte. Er stolperte über die zertrümmerte Tür und betrat die düstere Enge, wo die chinesischen Asylanten schweigend abgewartet hatten und ihn aus blicklosen Augen anschauten. In den Augen stand weder der Wunsch nach Vergeltung noch ein heißer Haß zu lesen. Sie gaben nichts von ihren Gefühlen preis.
Redburn sah das anders. Er sträubte sich auch gegen mein Vorhaben, stemmte die Füße gegen den Boden und wollte nicht von mir tiefer in den Raum geschoben werden.
So hatten wir nicht gewettet. Ich verstärkte den Druck und erntete bei ihm wilde Flüche und Beschimpfungen. »Schau sie dir doch mal an. Allein wie sie mich ansehen. So sehen Killer aus, Mann.«
»Nein, so bestimmt nicht.« Ich drückte ihn herum und preßte Redburn dann mit dem Rücken gegen die kalte Wand. Ich löste den Griff, packte dafür den Kragen seines Pelzmantels und drehte ihn zusammen. »So, Mr. Redburn, jetzt mal raus mit der Sprache. Wer hat Frank Payne nun tatsächlich getötet?«
»Die…«
»Sagen Sie nicht wieder, die Chinesen.«
»Ich… ich habe ihn gefunden. Nicht weit von meinem Haus entfernt. Da hat er sich noch hingeschleppt.«
»Das werden wir untersuchen. Was wollte er gerade bei Ihnen?«
»Hilfe. Er hatte sonst keinen.«
»Wer hat ihn gekillt? Wer könnte das getan haben?«
»Die Chinesen, nur sie. Die haben alles durcheinandergebracht. Sie können mit den Messern umgehen. Die sind heimtückisch wie alle Asiaten, das sage ich Ihnen.«
»Gibt es hier im Dorf niemanden, der ein Messer beherrscht? Ich denke da an den Fleischer oder…«
»Wer sollte so etwas tun?« schrie er mich an und sprühte Speichel in mein Gesicht.
»Ein Anhalter mit blonden Haaren, möglicherweise.«
»Das haben Sie sich nur gedacht, um die Gelben in Schutz zu nehmen. Es gibt hier keine Anhalter.«
»Ein Geist hat mir die Schnittwunden nicht am Hals beigebracht!« hielt ich ihm entgegen.
»Trotzdem, das waren sie.« Er ließ sich einfach nicht belehren, wollte noch weiter gegen die Chinesen hetzen, als jemand kam, der nur ein Wort sprach, aber laut genug, daß alle es hören konnten.
»Nein!«
Plötzlich war es still. Selbst der Wirt redete nicht mehr. Er schielte in den Gang hinein, wo eine gebückt gehende Gestalt langsam näher kam. Es war der alte Ho Chan.
Er hatte den Raum verlassen und zugehört, was gesprochen worden war. Einer seiner Leute sprang zu ihm und mußte ihn abstützen, sonst hätten die Knie noch nachgegeben.
Ho Chan blieb stehen, hob den rechten Arm an und deutete mit dem Zeigefinger auf Redburn. »Er steckt voller Haß. Er ist der böse Keim in diesem Ort. Ich spüre es genau. Von ihm geht das Böse aus. Wie eine Spinne sitzt er im Netz und zieht seine Fäden. Er steuert und lenkt das Grauen, in das wir alle eingefangen sind. Er ist wie ein Geschwür, das entfernt werden muß.« Anklagend redete der
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