0515 - Schreie aus dem Werwolf-Brunnen
hingelegt…
Was Suko sah, war ein Bein!
***
Zunächst tat er nichts, blieb unbeweglich sitzen und starrte dorthin, wo der Fuß hochkant stand. Er steckte noch in einem alten, schwarzen, unmodernen Schuh und daneben, schon etwas mehr im Schatten, sah Suko das zweite Bein.
Er wandte den Blick ab und schaute zur Wand, wo die Kette mit einer Eisenöse verbunden war. Die Glieder hingen durch. Ein Beweis für Suko, daß er sich eine gewisse Bewegungsfreiheit erlauben konnte. Am besten war es, wenn er vorkroch, um sich die Toten anzuschauen.
Es blieb beim Versuch. Er kam kaum drei Zentimeter weiter. Um sich mehr Licht zu verschaffen, holte er seine lichtstarke Bleistiftleuchte hervor.
Ihr Strahl zerschnitt das flackernde Licht und zeigte über die Gestalten hinweg.
Ja, es waren Gestalten!
Und Suko, der schon einige Zeit auf dem Brunnenschacht verbracht hatte, wußte jetzt auch, woher dieser penetrante Geruch kam, der die nähere Umgebung ausfüllte.
Die Toten gaben ihn ab.
Im Schein der Lampe entdeckte Suko drei Leichen. Noch nicht verwest, aber schon schlimm aussehend, so daß er die Lampe wieder ausschaltete und einsteckte.
Drei Leichen auf dem Grund des Brunnens!
Weshalb, wieso? Gut, man hatte die Männer ermordet, und sie besaßen eines gemeinsam.
Sie waren Chinesen!
Seine Landsleute lagen hier nebeneinander. Sie wären durch ein Messer getötet worden. Demnach mußte durch den Ort ein Mörder schleichen. Ein Killer, der es auf die Asylanten abgesehen hatte, die Suko nun als Köder einsetzen wollten.
Soweit war ihm alles klar. Der Mörder besaß hier unten sein Versteck. In den Brunnenschacht steckte er die Toten, damit sie nicht gefunden wurden.
Suko wußte nicht, wie viele Asylanten sich in der Baracke aufhielten, aber er konnte sich vorstellen, in welch einer Angst sie lebten, denn jeder von ihnen konnte als nächster an der Reihe sein. Um sicherzugehen, hatten sie Suko geholt, damit er sich dem Killer stellte. Um ihm eine Flucht unmöglich zu machen, war er angekettet worden. Eine Logik, die er nicht begriff, aber was wußte er schon von dem, was in den Köpfen der Asylanten vorging?
Bestimmt nicht viel.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf den Killer zu warten – und möglicherweise auch auf seinen Freund John Sinclair, der ebenfalls unterwegs sein mußte.
Wenn John reagierte, wie Suko es von ihm erwartete, befand er sich bestimmt schon im Ort und hatte auch Kontakt zu den Asylanten aufgenommen.
Würden sie ihm den Weg weisen? Weshalb brauchten sie John Sinclair überhaupt, wenn Suko bereits als Köder feststand? Wollten sie auf Nummer Sicher gehen und einen zweiten Köder aufbauen?
Für den Inspektor war es schwer, eine Lösung zu finden. Es brachte auch nichts, wenn er lange nachdachte und sich quälende Gedanken machte. Irgendwie mußte es einfach weitergehen, und er hoffte, dann klarer zu sehen.
Zunächst spürte er etwas. Es war ein kalter Luftzug, der ihn streifte. Wie ein Hauch aus dem Eiskeller strich er über seine Haare.
Suko, der kniete, drehte sich und schaute durch die schmale Seitenöffnung der Brunnenwand in den Stollen. Er hielt dabei sein Gesicht in Richtung des Spalts, wurde aber von keinem Luftzug erwischt.
Er mußte ihn also aus einer anderen Richtung erwischt haben. Da gab es nur eine.
Von oben!
Suko schaute in die Höhe und glaubte, einen runden Ausschnitt in der Finsternis zu sehen.
Er behielt den Blick bei, wartete noch länger ab, dann fiel etwas nach unten und klatschte auf den Grund.
Es war ein Seil!
Wo ein Seil war, kam auch ein Kletterer. Davon mußte man einfach ausgehen.
Suko hatte recht.
Wenige Sekunden später begann das Seil zu schwanken, und eine Gestalt verdüsterte den Ausschnitt. Sie kletterte nach unten!
***
Bevor Ho Chan richtig zum Thema kam, hob er beide Arme und drehte die Handflächen nach außen, damit ich gegen sie schauen konnte. »Ich möchte mich für den Plan, den wir in Bewegung gesetzt haben, zunächst in aller Form entschuldigen. Nehmen Sie mich als den Verantwortlichen dafür, und strafen Sie meine Freunde nicht.«
»Gut. Allerdings kann ich nichts versprechen.«
»Das verstehe ich. Wir befinden uns in einem fremden Land, genießen dessen Gastfreundschaft – trotz aller Widrigkeiten – und müssen dafür dankbar sein. Wir sind bescheiden geworden, nachdem man uns in der alten Heimat nicht mehr wollte, weil wir eben anders waren und nicht mit dem Staat zusammenarbeiteten. Das nur am Rande. England, Ihr Land, Mr.
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