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0516 - Im Netz der Mörderspinne

0516 - Im Netz der Mörderspinne

Titel: 0516 - Im Netz der Mörderspinne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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er ihr Verhalten auf keinen Fall billigte, liebte er sie doch und hätte alles getan, um zu verhindern, daß ihr etwas Böses zustieß -vielleicht sogar sein Vermögen geopfert, das trotz seiner derzeitigen Überschuldung immer noch ausgereicht hätte, die Clochards von Paris menschenwürdig durch die beiden nächsten Winter zu bringen.
    Warum hatte Anette geschrien? Hatte sie einen Alptraum gehabt? Und warum hatte ihr Schrei so geklungen, als wäre er von draußen gekommen …?
    Der Comte wickelte sich in seinen Schlafrock aus japanischer Seide und verließ sein Zimmer. Nebenan klopfte er an die Tür. »Anette?«
    Keine Antwort.
    Aber da kam wieder ein Schrei.
    D’Arcois stieß die Zimmertür auf. Er drehte am Schalter - natürlich gab es in der Villa elektrisches Licht, was in Häusern weniger begüterter Familien noch zu den ganz großen Seltenheiten zählte.
    Das Bett war benutzt, das Zimmer jedoch leer. Die Balkontür stand offen, aber das war normal. War Anettes Schrei tatsächlich von draußen gekommen? Aber warum? Wieso war Anette draußen, und in welcher Gefahr befand sie sich? D’Arcois stürmte auf den Balkon hinaus. Er geriet in etwas Klebriges, das sofort an seinem Gesicht und seinem Schlafrock haftete. Als er sich zurückwarf, schrie er auf, weil das Klebrige an ihm festsaß und ihm die Haut vom Gesicht reißen wollte. Entsetzt sah er die Fäden, die etwas stärker als Nähgarn waren, und die zu einem großen Netz verwoben schienen.
    Er sah auch einen Schatten geschäftig hin und her huschen.
    Und er hörte noch einmal Anettes Schrei.
    Aber er konnte nichts mehr tun.
    Er klebte im Netz.
    ***
    Der Gnom sah den gepflegten, eichengesäumten Privatweg, der von der Straße abwich. Wo ein Weg ist, ist auch ein Haus. Meistens. Vor allem aber bei einem solchen künstlich angelegten Kiesweg. Der aufgeschüttete Bodenbelag verriet dem Gnom zweierlei: Erstens, daß erst vor relativ kurzer Zeit hier ein pferdeloser Wagen gefahren sein mußte - es gab wohl die Eindrücke der Räder, nicht aber die von Zugtieren. Zweitens: Es gab keine weiteren Eindrücke oder Spurrillen, was bedeutete, daß in regelmäßigen Abständen jemand kam, um diese Spuren auszugleichen. Da der Weg künstlich angelegt und sehr deutlich sichtbar war, war dies also keine Sache der Geheimhaltung, sondern lediglich eine der Optik. Der Weg sollte immer glatt und eben aussehen.
    Wer also am Ende dieses Weges wohnte, mußte sehr reich sein, um Personal beschäftigen zu können, das sich dieser im Grunde unnützen Tätigkeit widmete. Oder er war ein Sklavenhalter…
    Aber das war in den modernen Ländern Europas eigentlich nicht mehr zu erwarten. Sklaverei gab es drüben auf dem neuen Kontinent, den sie »Amerika« oder auch »Neuengland« nannten. Und man munkelte, es gäbe sie noch auf dem Schwarzen Kontinent und weit, weit fort im Osten, wo die Menschen Schlitzaugen und gelbe Haut besaßen.
    Während der Gnom neben dem Kiesweg weiterging, um so wenig Geräusche wie möglich zu erzeugen, korrigierte er seine Vorstellungen. Er war von seiner Zeit ausgegangen. Aber der pferdelose Wagen deutete ebenso wie die Straße auf eine wesentlich modernere Epoche hin.
    Nach einer Weile sah er das Haus.
    Es war prachtvoll.
    Auch wenn die Nacht viel von den Einzelheiten verbarg, war es ein Haus, wie es sich jeder Mensch nur erträumen konnte, ringsum von weitem Rasen und vielen Sträuchern und Bäumen umgeben. Da stand auch einer dieser pferdelosen Wagen. Er war ziemlich groß und erinnerte den Gnom an die Luxuskarosse des Lord Saris, die er durch einen mißlungenen Zauber zunächst in Gold und dann in Honig verwandelt hatte -was indessen Nicole Duval das Leben gerettet hatte. [2]
    Der Gnom duckte sich hinter einem Haselnußstrauch. Am Haus bewegte sich jemand. Ein Mensch mit seiner Sturmlaterne. Und dieser Mensch kam jetzt auf den Gnom zu.
    Der Namenlose war sicher, daß er noch nicht entdeckt worden war. Er beobachtete geduckt. Er stellte fest, daß es sich um eine junge Frau handelte. Sie war außergewöhnlich schön und nur mit einem durchsichtigen Gewand bekleidet.
    Der Gnom schluckte heftig. Er glaubte zu träumen. Aber die Frau war kein Traum, und was sich hinter ihr abspielte, auch nicht.
    Obgleich es eher einem Alptraum glich.
    Unwillkürlich rieb sich der Namenlose die Augen. Aber das Bild blieb. Unbemerkt von der schönen Frau bewegte sich weit hinter ihrem Rücken eine Spinne an der Hausfassade entlang.
    Eine große Spinne. Eine sehr große Spinne.

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