0517 - Zitadelle des Todes
hatte. Gegen ihn war sie gestoßen, weil sie weniger auf den Boden als auf den Gnom geachtet hatte.
Kein Schmerz…?
Sie kniff sich in den Arm: Null. Kein Schmerz.
Natürlich: der Zauber des Gnoms! Es wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein, wenn er tatsächlich einmal etwas bewirkt hätte, ohne einen Rattenschwanz von Nebeneffekten mit sich zu ziehen. Den Schmerz zu blockieren, war eine feine Sache, aber daß jede Schmerzempfindung unterdrückt wurde, war eine andere, weniger gute Sache. So wie Nicole beim Stoß gegen den Stein nichts gemerkt hatte außer den Widerstand, würde sie sich möglicherweise an einer Herdplatte verbrennen, weil sie den Hitzeschmerz nicht wahrnahm, und sie würde es vielleicht nicht einmal bemerken, wenn ihr ein Raubmörder den Dolch in den Rücken stieß.
Aber daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern. Sie wagte auch nicht, den Gnom darauf aufmerksam zu machen. Erstens würde er frustriert sein, und zweitens würde sein garantiert erfolgender Versuch, den Schaden rückgängig zu machen, möglicherweise zu noch Schlimmerem führen. Dabei wollte der Namenlose doch immer nur das Beste.
Es blieb ihr also nicht viel mehr übrig, als sich vorerst damit abzufinden. Sie folgte dem Gnom zur Straße.
Er drückte sich zögernd an die Mauerkante und betrachtete die Menschen, die sich in beiden Richtungen hin und her bewegten, ohne bisher auf ihn aufmerksam geworden zu sein. Nicole sah über ihn hinweg die Straße entlang, die auf einen größeren Platz mündete.
Das Gebäude, das sich dort erhob, kannte sie nur zu gut.
Die Bastille.
***
Natürlich hatte Don Cristofero sich entschieden zur Wehr gesetzt. Entsprechend sah er nun auch aus: seine Kleidung schmutzig und zerrissen, die Fingerknöchel blutig aufgeschlagen, eine Platzwunde an der Stirn, getrocknetes Blut im Gesicht, ein Auge von einem Volltreffer fast schwarz verfärbt und mittlerweile geschlossen. Seinen Degen hatte man ihm natürlich ebenso abgenommen wie den Dolch und die Gürteltasche mit den aus der Zukunft geschmuggelten Kleinigkeiten. Die wurden kurz geprüft, und weil niemand etwas damit anfangen konnte, achtlos beiseite geworfen. Nur die Armbanduhr hatten sie ihm nicht genommen; die hatte er geistesgegenwärtig unter dem Ärmel hochgeschoben bis zur Mitte der Elle, wo das Flexarmband ihm jetzt das Blut abschnürte, während die Uhr bei jeder stärkeren Armbewegung ganz langsam wieder in Richtung Handgelenk rutschte.
»Berater des Königs, soso«, brummte der Mann mit der Jakobinermütze, der wie eine fette Kröte hinter seinem Schreibtisch saß. Zwei andere Männer hielten Cristofero fest. Er hatte seinen Widerstand mittlerweile aufgegeben. Er war einigermaßen fassungslos. Körperliche Gewalt hatte er schon immer verabscheut und bis zu diesem Moment gar nicht gewußt, welche immensen Kräfte er entfesseln konnte. Die jakobinischen Büttel, die ihn schließlich niedergerungen hatten, sahen immerhin nicht viel besser aus als Cristofero. Zu seiner Zeit und in seinen Kreisen hatte man sich mit Worten bekämpft oder mit Degen und Duellpistolen. Oder man griff zu Intrigen, wie es dieser Gauner deDigue getan hatte, von dem Cristofero immer noch nicht so recht begriff, wieso er ihm im Jahr 1991 unter dem Namen Robert Tendyke wieder hatte begegnen können.
»Berater des Königs«, wiederholte die Jakobinerkröte. »Da ist uns ja ein ganz großer Fisch ins Netz gegangen, wie? Haha!« Er sah die beiden anderen Männer an, und die lachten pflichtschuldigst mit - aber nur so lange, wie es auch der Krötenmann tat. »Wie seltsam, daß wir ihn nicht schon viel früher geschnappt haben. Ich dachte immer, wir hätten mit diesem ganzen Königspack samt Gefolge gründlich aufgeräumt. Aber da kommt noch so ein Vöglein daher und singt uns freiwillig ein königliches Lied!«
Er erhob sich und kam um den Tisch herum. Dicht vor Cristofero blieb er stehen. Er zupfte an dessen Samtjacke. »Edler Zwirn«, stellte er anerkennend fest. »Aber ein wenig aus der Mode, Bürger Königsberater.«
Cristofero hieb ihm kräftig auf die Hand. Der Krötenmann zuckte mit einem Aufschrei zurück; Cristofero hatte ihn so getroffen, daß es empfindlich weh tat. »Das Berühren der Figuren mit den Pfoten ist verboten«, belehrte er ihn mit erhobenem Zeigefinger. »Merke Er sich das, Kerl, dann hat Er was fürs Leben.«
Der Jakobiner grinste ihn freundlich an. »Diese Mühe kann Er sich sparen, wenn Er mit seinen ungewaschenen Schmutzfingern nicht an
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