0517 - Zitadelle des Todes
sich durch das Pendel nicht erklären. Auch nicht die Ortsveränderungen. So stark konnte im Laufe der Jahrhunderte die Erdachse sich gar nicht verschoben haben, daß derartige Entfernungen als normal angesehen werden konnten. Und dann - die jeweiligen Zeiten an sich…
Es war jedesmal irgend etwas los. Krieg zwischen Römern und Galliern, 1. Weltkrieg, Dreißigjähriger Krieg, jetzt die Revolution… offensichtlich besaßen Mord und Totschlag eine unwahrscheinlich starke Anziehungskraft auf das »Zeitpendel«. Gab es denn nichts anderes, was als Attraktion für die Zeitverschiebungen dienen konnte?
Immerhin pendelte sich die Sache allmählich ein. Die Pendelausschläge näherten sich immer mehr an das Jahr 1673 heran. Ein Ende der Versetzungen zeichnete sich ab.
Was aber nichts an der augenblicklich recht fatalen Situation änderte.
Und noch etwas wurde Zamorra in diesem Moment klar. An den Versetzungen trug der Gnom tatsächlich eine Schuld. Alles war eine Folge seines ersten Zaubers. Denn inzwischen war er ja tot. Er war ein Opfer des Lachenden Todes geworden und konnte auf keinen Fall mehr irgendwelche ZeitZauberaktionen veranstalten.
Es bedeutete aber auch, daß es vermutlich keine Rückkehr in die Gegenwart mehr gab. Zamorra und Nicole waren in diese Zeitmagie einbezogen worden, und sie kamen aus eigener Kraft nicht mehr hinaus.
Darauf galt es sich einzustellen.
Zamorra verließ die Seitengasse wieder. Er brauchte zum einen etwas zum Anziehen, und zum anderen mußte er herausfinden, was er für Cristofero tun konnte.
***
Die überraschende Zeitverschiebung packte auch Nicole und den Gnom. Plötzlich war das Pferd unter ihnen verschwunden, und sie fanden sich in einer Art Hinterhof wieder. Ringsum ragten Mauern hoch empor. Es gab eine schmale Gasse, die zwischen zwei Häusern hindurch auf eine etwas größere Straße führte.
Der Gnom trat nach einer Ratte, die quiekend davonhetzte. Ein Hund begann wie wahnsinnig zu kläffen. Er zerrte an der langen Leine, mit der er an einen Eisenring in der Wand gebunden war.
Der Gnom ging in die Hocke. Er streckte die Arme aus und drehte die Handflächen dem Hund zu. Leise sprach er auf das Tier ein. Sofort beruhigte der Hund sich. Der Gnom ging auf ihn zu und ließ sich beschnuppern. Der Hund kehrte daraufhin in seine Ecke zurück, aus der er eben wild hervorgeschossen war.
Der Gnom hatte den Sturz offensichtlich besser abgefedert. Nicoles Steißbein schmerzte teuflisch, und sie hatte das Gefühl, sich einen Fuß verstaucht zu haben. Allerdings konnte sie auftreten und das sprach gegen eine Verstauchung. Der Schmerz mußte eine andere Ursache haben.
Der Gnom kehrte zu ihr zurück und registrierte ihr schmerzverzerrtes Gesicht. »Wartet, Mademoiselle«, sagte er. »Wo tut es weh?«
»Oh, ich komme schon zurecht«, sagte sie. Wenn der Namenlose jetzt zu zaubern begann, konnte es wieder zu einer jener kleinen, unkalkulierbaren Katastrophen kommen, von denen sein Weg durchs Leben gepflastert war. Aber noch ehe sie protestieren konnte, hatte er bereits ein paar Zaubersprüche gemurmelt und magische Zeichen in die Luft gemalt.
Der Schmerz war weg.
Nicole bedankte sich. Der Gnom winkte ab. »Ich schulde Euch viel mehr als diese Kleinigkeit. Ich schulde Euch mein Leben. Bedankt Euch nicht, ich habe noch längst nicht genug für Euch getan.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe es für einen Freund getan.« Sie merkte, wie er zu erglühen schien. Daß jemand ihn Freund nannte, gehörte zu den großen Ausnahmen in seinem Leben, und er schien es immer noch nicht so richtig glauben zu wollen, daß diese schöne Frau ihn bedingungslos als das akzeptierte, was er war: als Mensch.
Ihn, den alle seiner Mißgestalt wegen verspotteten, verjagten oder verprügelten.
»Wir müssen herausfinden, wann wir sind und wo«, sagte Nicole. »Und wir sollten auch auf eine weitere Versetzung vorbereitet sein. Nach der letzten kurzfristigen Überraschung kann sie praktisch jederzeit stattfinden. Diesmal sind wir beide beisammen geblieben, während wir sonst alle voneinander getrennt wurden… vielleicht lag es am direkten Kontakt.«
Der Gnom nickte. Er bewegte sich zwischen den Häusern hindurch zur Straße. Nicole folgte ihm. Sie stieß mit dem Fuß gegen etwas Hartes, verspürte dabei seltsamerweise nur den Widerstand, aber keinen Schmerz. Verblüfft sah sie nach unten. Es handelte sich um einen Stein, der entweder aus der Mauer gefallen war oder den jemand hierher geworfen
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