0519 - Schatten des Grauens
Steinmauern nur unvollkommen gedämpft werden konnte. Raffael war sicher, als Baby selbst nie so lautstark gewesen zu sein, und er empfand die Anwesenheit des kleinen Lords als zeitweise lästig. Aber vermutlich war das nur eine Gewöhnungssache, und wenn Lady Patricia, die Mutter, den kleinen Schreihals tolerierte, dann stand es ihm als Diener nicht zu, Kritik zu äußern. Auch, William, sein relativ junger Kollege und Schottland-Import wie Lady Patricia und ihr stimmgewaltiger Nachwuchs, pflegte sich allenfalls positiv darüber zu äußern. Zudem übernahm er als Butler von Lady Patricia freiwillig auch etliche Aufgaben, für die eigentlich Raffael zuständig war. An den abendlichen Rundgang schien er sich allerdings nicht gewöhnen zu wollen.
Neuerdings bezog Raffael auch die Außenanlagen in diese Kontrolle mit ein. Immerhin geschah es schon einmal, daß die Schutzzeichen, die mit magischer Kreide an das umgebende Mauerwerk gemalt worden waren, vom Regen oder von Tieren verwischt wurden, so daß der weißmagische Schutzschirm, der das Château wie eine Kuppel umgab, geschwächt oder lückenhaft wurde. Wenn es schneite oder regnete, war dieser Kontrollgang um so wichtiger, aber auch um so unangenehmer.
Zu Raffaels Erleichterung war wieder alles in Ordnung, was ihm ersparte, länger als nötig draußen zu sein, um eventuell verwischte Zeichen zu erneuern. Nach seinem Rundgang fuhr er den BMW in die Garage, der immer noch vor der Freitreppe parkte, und kehrte ins Haus zurück. Na schön, für solche Kleinigkeiten war er schließlich da, aber manchmal kamen ihm die Herrschaften vor wie kleine Kinder, die ihre Spielsachen nie richtig einräumen wollten. Die Autos wurden einfach stehengelassen, wo sie gerade stoppten, irgendwelche Mitbringsel lagen überall herum, aufgeschlagene Zeitschriften, angelesene Bücher, Kaffeetassen und Wassergläser verteilten sich quer durchs Château. Und wer durfte aufräumen und die Ordnung wiederherstellen? Natürlich Raffael!
Und jetzt lag da sogar noch ein Schatten herum!
***
Magnus Friedensreich Eysenbeiß triumphierte. Es funktionierte! Was ihm selbst nicht gelingen wollte, schaffte Francine Belo: ihren Schatten durch die weißmagische Abschirmung von Château Montagne zu bringen!
Damit hatten selbst Dämonenfürsten ihre Probleme. Schwarze Magie in jeder Form wurde von der Abschirmung geblockt und abgestoßen. Selbst ein Mensch, der »nur« unter schwarzmagischer Beeinflussung stand, gelangte nicht hindurch. In ihrem hypnotisierten Zustand wäre es vermutlich also Belo nicht gelungen, in eigener Form, das Château zu betreten, ebensowenig, wie Eysenbeiß seinen eigenen Schatten durch die Abschirmung hätte bringen können.
Aber Belos Schatten war selbst noch nicht dem Bösen verfallen. Er hatte es geschafft, einzudringen. Gerade hatte Francine Belo es auf seine telefonische Anfrage hin verraten. Jetzt sollte der Schatten Professor Zamorra suchen! Für jemanden, der seinen Schatten mit der Geschwindigkeit eines Gedankens lenken konnte, war das trotz der Größe des Bauwerks kein Problem, zumal der Schatten unter jeder Tür oder durch jedes Schlüsselloch hindurchgleiten konnte. Eysenbeiß bedauerte nur, daß die Verbindung zu umständlich war, einen genauen Lageplan der einzelnen Räume anfertigen zu lassen. Das war der Nachteil, wenn er seinen eigenen Schatten nicht einsetzen konnte.
Er rieb sich die Hände. Belo einzusetzen, war die Idee des Jahrtausends. Jetzt mußte es Zamorra an den Kragen gehen.
»Ich habe ihn gefunden«, kam es plötzlich schwach aus dem Telefonhörer.
Eysenbeiß nickte zufrieden.
»Greifen Sie ihn an! Töten Sie ihn! Er ist ein Feind des mentalen Fortschritts, wie wir beide ihn kennengelernt haben. Töten Sie Zamorra! Jetzt!«
Nach einer Pause von wenigen Sekunden fügte er hinzu: »Und melden Sie mir den Vollzug!«
***
Kopfschüttelnd sah Raffael Bois dem Schatten nach, der über den Boden davonglitt, gerade so, als müsse sich ein Mensch in der Nähe befinden, der diesen Schatten warf - aber da war kein Mensch! Der Diener folgte dem Schatten, versuchte ihn zu packen, doch seine Finger griffen ins Leere. Es war der Schatten eines weiblichen Wesens, wie Raffael erkannte. Der von Mademoiselle Nicole?
Der alte Diener verfolgte den Schatten eine Weile und gewann den Eindruck, daß dieser sich entweder orientieren wollte oder nach etwas oder jemandem suchte.
Vorsichtshalber suchte Raffael selbst nach Mademoiselle Duval, um sich seiner Beobachtung
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