0519 - Schatten des Grauens
Schatten begegnet zu sein. Nicole bemerkte den Dhyarra-Kristall in seiner Hand. »Du riskierst es, ihn einzusetzen?«
»Wenn es unbedingt nötig ist. Aber vielleicht geht es ja auch ohne. Vor Eysenbeiß und seinem Schatten müssen wir uns vorsehen, vor Belo nicht unbedingt.«
»Immerhin hat sie vermutlich einen Menschen umgebracht, diesen… wie hieß er noch?«
»Claude Arpad.«
»Eben.«
»Darüber wissen wir zu wenig. Jedenfalls hat sie auf mich keinen bösartigen Eindruck gemacht.«
»Wenn sie es ist, die hier ihren Schatten herumtanzen läßt.«
»Ich bin ziemlich sicher«, behauptete Zamorra. »Sie dürfte noch recht ›unverdorben‹ sein. Bei Eysenbeiß dagegen muß Schwarze Magie mit im Spiel sein, das heißt, er beziehungsweise sein Schatten kommen hier garantiert nicht rein.«
»Mit solchen Garantien wäre ich vorsichtig«, warnte Nicole.
»Es steht mir nicht zu, Sie zu irgend etwas zu drängen oder zu überreden«, meldete sich Raffael plötzlich zu Wort. »Aber wäre es nicht angebracht, jetzt die Begegnung mit diesem Schatten zu suchen? Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, ihn zu fragen, wem er gehört.«
Zamorra hob die Brauen. »Sie haben recht, Raffael. Drängen Sie ruhig. Wir haben ohnehin schon zu viel Zeit verschwendet.«
Es dauerte eine Weile, bis sie den Schatten aufspürten. Er schien sein Erkundungstempo erheblich verringert zu haben, daher trafen sie ihn in einem Teil des Haupttraktes an, in dem zumindest der Diener ihn schon längst nicht mehr vermutet hatte.
Von einem Moment zum anderen standen sie sich jetzt gegenüber: Mörder und Opfer!
***
Ein dritter Schatten entstand in Francine Belos Wohnzimmer; die Bilder verwischten sich immer stärker. Sie war nicht mehr in der Lage, die sich überlagernden Eindrücke klar voneinander zu trennen. Es war, als würden mehrere Dias übereinander projiziert. Drei Bilder allein aus ihrem Wohnzimmer, jeweils aus verschiedenen Perspektiven »aufgenommen«, aber alle diese Bilder zeigten Francine selbst, in ihrem Sessel sitzend, und dabei machte sie die Feststellung, daß sich schon ein vierter Schatten bildete. Jeden Moment konnte auch er sich von ihr lösen und ein weiteres Bild auf die geistige Leinwand projizieren.
Und dazwischen war immer noch das Bild aus Château Montagne!
Immer wieder versuchte Francine vergeblich, wenigstens ihre Augen zu öffnen, wenn sie schon die Schatten nicht mehr zur Auflösung zwingen konnte. Mit offenen Augen brauchte sie nicht mehr zu sehen, was ihre Schatten ihr zeigten. Aber es gelang ihr einfach nicht.
Und mittlerweile hatte sie das Gefühl, daß sich die Schatten-Vervielfältigung nicht nur in ihrer Wohnung, sondern auch im Château fortsetzte. Das wenige, was sie noch von den Bildeindrücken wahrnahm, deutete darauf hin, daß auch dort bereits zwei Betrachterperspektiven existierten -mindestens!
»Ich träume das alles nur«, glaubte sie sich flüstern zu hören, war sich dessen aber nicht sicher. »Es kann nur ein Alptraum sein… oder ich werde wahnsinnig… schizophren… ich bin nicht mehr ich selbst, ich bin viele… zu viele…«
Sie sah Professor Zamorra, aber sie sah ihn verwaschen zwischen den anderen Eindrücken, und sie sah ihn auch gleich mehrfach. Und immer schneller bildeten sich neue Schatten, bis nicht mehr zu erkennen war, wer was sehen konnte, und alles sich in einem gigantischen Wirbel verlor… in einem unglaublichen Spektakel aus Farben und Formen… und schließlich in einem riesigen schwarzen Loch…
***
Zamorra und Nicole reagierten gleichzeitig: Sie konzentrierten sich darauf, den Schatten mit ihren Dhyarra-Kristallen abzuwehren, falls er Zamorra wieder angreifen wollte wie vor Stellaines Haus. Aber der Schatten zögerte, und dann geschah etwas Eigenartiges: Er verdoppelte sich.
Als hätten bisher zwei gleiche Teile übereinander gelegen, glitten sie auseinander und bewegten sich voneinander fort, um dabei unterschiedliche Bewegungsformen anzunehmen.
»Zellteilung?« stieß Raffael Bois überrascht hervor. »Das ist ja wie bei einer Zellteilung!«
Die beiden Schatten schienen ziemlich verwirrt zu sein. Ein Mensch, der nicht genau wußte, woran er war und sich zu orientieren versuchte, dabei gleichzeitig aber auch nach einem Fluchtweg Ausschau hielt, hätte keinen anders geformten und sich anders bewegenden Schatten geworfen.
»Ich versuche in Kontakt zu kommen«, sagte Nicole. Sie konzentrierte ihre telepathischen Sinne erst auf beide Schatten, dann auf nur einen
Weitere Kostenlose Bücher