052 - Invasion der Toten
Schritte, mit denen sich weitere Tot Riechende
näherten. In einer langen Kolonne marschierten sie heran, mit leerem Blick, ohne eigenen Willen. Rotdorn schüttelte sich bei dem Anblick, besonders als er zwei Taratzen in dem Zug ausmachte. Vergeblich suchte er nach einer bekannten Schnauze unter den Artgenossen. Sie mussten aus einem anderen Rudel stammen.
»Kratzer sieht?«, flüsterte er aufgeregt.
»Taratzen können auch verzaubert werden. Vielleicht auch Knacker und Langbein in Hände der Meister gefallen.«
Kratzer gab keine Antwort, aber seine zitternden Schnauzhaare zeigten deutlich, dass ihn die gleichen fürchterlichen Gedanken quälten. Irgendetwas musste ja den geliebten Weibchen zugestoßen sein, die sie seit vielen Nächten vermissten.
Angeblich wollten die beiden das Wunder der bewegten Bilder schauen, das die Nackthäuter in El'ay präsentierten.
Aber so verrückt konnte doch keine Taratze sein, sich mitten unter die Menschen zu wagen. Nicht mal Rotdorn wäre auf diese Idee gekommen.
»Rotdorn und ich um Nest schleichen«, schlug Kratzer vor. »Dort keine Nackthäuter.«
Rotdorn war einverstanden. Immer im Dunkel des Unterholzes bleibend, pirschten sie um das aus geradem Stein geformte Nest herum. An der Rückseite angekommen, sicherten sie sich nach allen Seiten ab, konnten aber nichts Verdächtiges sehen oder wittern. Vorsichtig krochen sie näher, bis zu einem vernagelten Guckloch, durch das sie in den unterirdischen Teil des Nestes spähen konnten.
Schummriges Licht erhellte den Raum, in dem sich mehr tot riechende Menschen Schulter an Schulter reihten, als eine Taratze Krallen besaß. Und es strömten weitere zu ihnen hinein. Unzählige mehr als zwei mal vier - die höchste Zahl, die eine Taratze kannte, weil sie nicht mehr Krallen an beiden Pfoten besaß. Erst als sich die aneinander gepressten Leiber bis zur Tür reihten, wurde der Nackthäuterstrom in einen anderen Raum umgeleitet.
Das Licht wurde gelöscht, die Tür geschlossen.
Völlige Finsternis umgab die zusammengepferchten tot riechenden Menschen.
Vergeblich lauschte Rotdorn nach einem Klagelaut aus der Tiefe. Er selbst würde wahnsinnig werden, wenn sein Rudel so dicht aufeinander hocken müsste. Mit seinen empfindlichen Ohren konnte er nicht mal einen Atemzug oder ein Husten erhäschen. Nicht das kleinste Lebenszeichen.
»Alle tot«, fiepte er aufgeregt. »Sie nicht nur so riechen, sie auch sind.«
»Quatsch.« Kratzer schüttelte nervös den Kopf, denn die Gedanken seines Gefährten waren ihm unheimlich. »Was, geht, springt und kämpft, lebt auch!«
Rotdorn wollte aufbegehren, doch ein neuer Geruch, der in seine Nasenlöcher drang, ließ ihn verstummien. Nackthäuter näherten sich, inmitten von Tot Riechenden.
Das konnten nur die Meister
sein. Kratzer witterte sie ebenfalls, das konnte Rotdorn an der buckligen Haltung und den zitternden Schnauzhaaren erkennen.
Von Neugier gepackt, pirschte Rotdorn dicht an der Wand entlang bis zur nächsten Hausecke. Zum Glück wuchs hier ein Nadelstrauch, der etwas Deckung bot. Rotdorn drängte die Zweige mit der Schnauze auseinander, bis er freies Sichtfeld hatte. Seine Augen wurden schmal, als er die Meister sah.
Zwei von ihnen trugen helle Kittel, die aus der Dunkelheit hervorstachen. Fünf weitere, die sie mit gezückten Schwertern umkreisten, waren völlig in Schwarz gekleidet. Selbst Rotdorn hatte Mühe, sie im Dunkeln auszumachen. Er mochte diese Schwarzen nicht, denn sie bewegten sich des Nachts wie Taratzen.
Genauso lautlos, genauso unsichtbar.
Genauso gefährlich.
Rotdorn verfiel in völlige Starre, wagte nicht einmal mehr sein Fell aufzustellen.
Wer den Meistern in die Hände fiel, dem stand ein schlimmes Ende bevor, das wusste er genau. Aber wenn er völlig ruhig blieb, konnte er vielleicht etwas über den Verbleib von Knacker und Langbein herausfinden.
»Kann Rotdorn was sehen?«, fiepte es leise hinter ihm.
Rotdorn wirbelte seinen Schwanz wie eine Peitsche herum. Ein blinder Schlag, aber ein Volltreffer. Klatschend fuhr er Kratzer über die Schnauze. Danach war Ruhe.
Rotdorn richtete seine Ohren auf, um die Unterhaltung zwischen den Meistern
zu verfolgen, stellte aber enttäuscht fest, das ihm die Sprache vollkommen fremd war. Sie unterschied, sich deutlich von dem Wortschatz der in El'ay lebenden Nackthäuter. Er konnte nur feststellen, dass einer der Kittelträger, der den anderen laufend »Kashima-san« nannte, mit vor Ehrfurcht bebender Stimme
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