0523 - Julies schöne Zombie-Schwester
Das hatte Lisa auch tun müssen.
Es war kalt in dieser Herbstnacht. Die Bäume hatten schon einen großen Teil ihrer Blätter verloren. Sie lagen als weiche, farbige Decke auf dem Boden und raschelten oder wurden in die Höhe geschleudert, wenn Lisa hineinstampfte.
Zur Hütte führte kein direkter Weg. Wenn sie das Ziel erreichen wollte, kämpfte sie sich durch das Unterholz. Man wußte, wo sie lebte. In der Hütte, nahe eines kleinen Bachs, dort hatte sie auch ihre Besucher empfangen. Der Bürgermeister würde sie schon finden.
Er würde in der Nacht kommen, dessen war sie sich sicher. Aber dann wollte sie verschwunden sein.
Der Weg kam ihr doppelt so lang vor wie sonst. Sie atmete heftig.
Manchmal schwankte sie auch oder blieb stehen, um sich an besonders starken Ästen festzuhalten.
Sie zitterte, schwitzte und fror in einem. Hin und wieder klapperten die Zähne aufeinander.
Ruhe, einige Minuten Ruhe mußte sie sich gönnen, sonst kippte sie noch vor Erschöpfung um.
Die Angst trieb sie weiter. Und als sie endlich die Hütte erreichte, sah sie Janine, das Mädchen mit den langen Blondhaaren. Sie kam vom Bach her und trug zwei volle Wassereimer.
»Wirf sie weg oder kipp sie aus, Janine, wir können hier nicht mehr bleiben!«
»Wieso?«
»Sie werden bald kommen und mich holen wollen!«
Das blonde Mädchen schaute seine schöne Mutter an. »Dich werden sie holen?«
»Ja!«
»Warum denn?«
Lisa Kunter gab auf ihre Weise eine Antwort. Sie packte ihre Tochter unter den Achseln hoch und schob sie durch die offene Hüttentür in das Innere. »Pack zusammen, pack nur zusammen. Ich erzähle es dir. Dann müssen wir uns trennen.«
Aus dem Durchgang zur zweiten Kammer, direkt neben der Feuerstelle, kam Julie. Das Mädchen hatte geschlafen und rieb sich die Augen. Sie besaß blondes Haar und war hübsch, auch wenn sie ein Kleid trug, das mehr als einmal geflickt und aus verschiedenen Stoffen zusammengenäht war. »Was ist denn los? Was macht ihr für einen Krach?«
»Ich packe einige Habseligkeiten zusammen.« Lisa Kunter strich ihr Haar zurück. Es war eine wilde Mähne, die sie kaum bändigen konnte. »Wir werden fliehen.«
»Wer?«
»Wir beide, Julie.«
»Auch Janine?«
Lisa Kunter preßte die vollen Lippen zusammen, starrte zu Boden und schüttelte den Kopf. »Nein, Janine nicht. Sie wird hierbleiben müssen, fürchte ich. Es tut mir sehr leid für sie, aber ich kann es nicht ändern. Es ist nun mal so.«
»Ich soll bleiben?«
Janine hatte den schlichten Raum betreten und blieb an der primitiven Tür stehen.
Ihre Mutter drehte sich um. »Ja, Kind, den Grund erkläre ich dir, während ich packe.«
Janine verstand nicht, schaute ihre Schwester an, die auch nur den Kopf schütteln konnte.
Lisa Kunter war zu einer Truhe gegangen. Sie klappte den Deckel hoch und zog einen hellen Leinensack hervor. In ihn stopfte sie Kleidung, Schuhe und etwas Wäsche. Die beiden Umhänge für den Winter hingen an der Wand.
»Nimm die Mäntel«, sagte Lisa. »Los, mach schon! Wir haben nicht viel Zeit!« Sie klatschte in die Hände, um die Tochter zur Eile anzutreiben.
Julie tat alles automatisch, während ihre ältere Schwester nur dastand und zuschaute.
Hin und wieder fing Janine einen Blick ihrer Mutter auf. Er war nie kühl, eher entschuldigend. »Mit dir werde ich gleich noch reden, Kind.«
»Ja, ist gut.«
Die Truhe war leer. Lisa Kunter schaute sich in der Hütte um. Sie überlegte dabei, ob sie noch etwas mitnehmen sollte, das brauchte sie nicht. Was sie benötigten, befand sich im Sack.
Sie ging auf Janine zu, die Bescheid wußte. »Ist das der Abschied?« fragte sie.
»Ja.«
Janine schluckte. »Und wir werden uns nie mehr sehen?«
»Nicht in dieser Welt.«
»Ich ahnte so etwas, ja, ich ahnte es. Wir sind etwas Besonderes, glaube ich.«
Lisa Kunter nickte. »Das seid ihr tatsächlich. Ihr seid etwas Besonderes, denn ihr besitzt einen Vater, der kein normaler Mensch ist. Aber das will ich nicht näher erklären. Julie und ich müssen fliehen, weil man mich töten will. Man ist mir auf die Spur gekommen, man hat mein Geheimnis entdeckt. Wir beide werden das Land verlassen und nach England gehen. Du, Janine, mußt bleiben, denn du bist alt genug. Auch ich mußte mich in deinem Alter durchschlagen, aber ich werde dir einen Tip oder einen Hinweis geben. Ich werde dafür sorgen, daß du erstarkst, auch im Tod.«
Janine sah den ernsten Ausdruck in den Augen ihrer Mutter und nickte. »Ja, ich glaube
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