0523 - Julies schöne Zombie-Schwester
Schläfe tuckerte es, ein Zeichen der Aufregung, die ihn umklammert hielt.
Er hatte sich beim ersten Hinsehen nicht getäuscht. Der Hintergrund war für das Foto völlig fremd, nur für ihn nicht, denn er zeigte einen Ausschnitt von Sukos Wohnung.
Und nicht nur das.
Will Mallmann erkannte die Gestalt eines etwa zehnjährigen Mädchens und schräg hinter ihm einen Mann, den er zu seinen besten Freunden zählte.
John Sinclair!
***
Der Kommissar blieb in seiner gebückten Haltung stehen. Sekundenlang wirkte er wie eingefroren, dann stöhnte er förmlich auf, als er seinen Kommentar abgab.
»Das ist doch nicht möglich…«
»Was ist nicht möglich?«
»Schon gut, Herr Schneider, schon gut.« Will richtete sich auf, atmete tief durch und wischte den Schweiß mit einem Tuch von der Stirn. »So etwas«, flüsterte er.
»Ist was mit den Bildern, Kommissar? Sind Sie nicht zufrieden damit? Sagen Sie es?«
»Im Gegenteil, Herr Schneider.« Will schaute ihn an und krauste dabei die Stirn. »Sie haben hier eine hervorragende Arbeit geleistet. Mir geht es um das Motiv.«
»Verstehe«, erwiderte der Drogist, wobei er sicherlich überhaupt nichts verstand.
»Was bin ich Ihnen schuldig?« fragte Will.
»Na ja…«
»Reichen fünfzig Mark?«
»So viel nicht. Ich…«
»Denken Sie an die Nachtschichtzulage, Herr Schneider. Ich darf ja alle Aufnahmen mitnehmen.«
»Sie gehören Ihnen.«
Will holte aus seiner Brieftasche einen Braunen und sah das Lächeln auf Schneiders dünnen Lippen.
»Wissen Sie, Kommissar, wenn das so ist, können Sie mich in jeder Nacht wecken.«
»Das glaube ich gern.« Mallmann sammelte die Fotos ein und verließ die Dunkelkammer.
Franz Berghans hockte noch immer auf den Kartons. Diesmal allerdings leicht schwankend.
»Na, ihr beiden Geheimnistuer, seid ihr endlich fertig?«
»Ja«, erwiderte der Drogist. »Und du bist es bald auch, wie?«
»Ist noch ein Schluck drin«, erklärte Berghans mit leicht stotternder Stimme.
»Dann gib her.«
Will Mallmann hatte hier nichts mehr verloren. Er bedankte sich noch einmal und verabschiedete sich. Jetzt hatte er es sehr eilig. Auf dem Weg zum Haus des Drogisten hatte er auf dem Marktplatz eine Telefonzelle entdeckt. Von dort aus konnte er London anrufen…
***
Unruhige Stunden folgten, die wir mit Abwarten verbrachten. Suko und ich gingen davon aus, daß Will Mallmann anrufen würde, wir hatten es einfach im Gespür.
Eine Nacht kann lang werden, wenn man auf ein bestimmtes Ereignis wartet. Ich wollte es genauer wissen, rief den Kommissar in Wiesbaden an, hatte aber kein Glück. Es hob niemand ab.
Wichtig war auch Julie Gladstone. Wir hatten mit ihr gesprochen, sie immer wieder gefragt, ob sie sich an gewisse Szenen aus einem ihrer Leben erinnern konnte, in dem ein älteres, blondes Mädchen eine Rolle spielte, doch Julie konnte nur die Schultern heben. Eine konkrete Antwort bekamen wir nicht.
Es wurde Mitternacht. Julie gähnte schon mehr als einmal. Sie hatte müde Augen bekommen, die Haut war blaß geworden.
»Du wirst dich hinlegen«, sagte ich zu ihr.
»Wo?«
»Hier bei Suko auf die Couch.«
»Bleibt ihr…?«
»Aber selbstverständlich bleiben wir hier. Keine Sorge, im Stich lassen wir dich nicht.«
Auch Suko schaute sie an und fragte: »Spürst du noch die fremden Gedanken?«
»Nein.« Sie legte eine Hand auf ihre Stirn. »Irgendwie ist mein Kopf leer. Es ist, als hätte jemand meine Gedanken aus ihm herausgesaugt. Ich komme mir vor wie eine andere. Ich kann auch keine Verbindung bekommen, das ist alles so komisch.«
»Genau der richtige Moment, um sich hinzulegen und einige Stunden zu schlafen.«
»Bleibt ihr denn noch auf, John?«
»Natürlich.«
»Dann glaubst du an den Anruf?«
»Noch immer.«
Julie legte sich zurück. Sie war wirklich müde. Kaum lag ihr Hinterkopf auf dem Kissen, als ihr schon die Augen zufielen. Sie merkte kaum, daß ich ihr einen Gute-Nacht-Kuß auf die Wange hauchte.
Die Gesichtszüge des Mädchens entspannten sich, sie wurden weich. Jetzt sah sie aus wie ein völlig normales Kind. Nichts mehr wies darauf hin, welch ungewöhnliche Kräfte in ihr steckten.
Suko und ich setzten uns gegenüber. Mein Freund wiegte den Kopf. »Ich weiß nicht so recht, John, aber ich kann deinen Optimismus nicht teilen. Irgendwie geht mir das quer.«
»Mir nicht.«
»Dann glaubst du noch immer an den Anruf.«
»Ja, weil ich Will kenne. Sollte er nicht anrufen, könnte er es nicht überstanden
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