0524 - Er raubte die mordende Göttin
nach vorn. Die Finger umklammerten dabei den alten Obsidiandolch, dessen Klinge etwas gebogen war und leicht grünlich schimmerte.
»Ich habe sie noch«, flüsterte Phädra und brachte ihr Gesicht dicht an die Breitseite der Klinge.
Ramir nickte nur.
»Ich habe ihn noch und ihn nicht vergessen. Auch du kannst dich seiner bedienen. Durch ihn sollen und werden diejenigen sterben, die uns etwas Böses wollen.«
Der Ägypter hatte eine Gänsehaut bekommen, gleichzeitig jedoch dachte er an die Menschen, die auf seiner Todesliste standen.
London sollte im Grauen ersticken!
***
Es regnete!
Aus den tiefen Wolken fielen die langen Wasserschnüre, als wären sie aus Kannen gegossen worden. Eigentlich hätte es um diese Zeit kalt sein müssen, aber dieser Januar spielte auch noch an seinem Ende irgendwie verrückt.
Es war zu warm. Das Ungeziefer wurde deshalb kaum dezimiert und würde im Frühjahr verheerende Schäden in der Natur verursachen.
Regen, dunkle Wolken, düstere Tage.
Das Wetter paßte zu unserer Stimmung. Suko und ich hatten einiges hinter uns, denn in der letzten Zeit war es um ein Mädchen namens Julie Gladstone gegangen, deren Schicksal über die Jahrhunderte hinweg mit einem magischen Knoten verwoben war.
Julie war uns ans Herz gewachsen. Um so schwerer hatte uns ihr Tod getroffen.
Auf der alten Steinbrücke eines kleinen Ortes in Deutschland war sie gestorben und auch dort begraben worden. [1] Die Szene auf der Brücke, als ich das tote Mädchen gehalten hatte, werde ich nie vergessen, sie hatte mir auch gleichzeitig verdeutlicht, wie klein wir manchmal waren, wenn es darum ging, gegen die Mächte der Finsternis anzukämpfen. Oft genug hatten wir gewonnen, das stimmte schon, doch die Niederlagen waren ebenfalls zahlreich. Man konnte unsere Arbeit als ein Auf und Ab bezeichnen, eben wie in einem richtigen Leben.
Julie lag in der kalten Erde nahe eines Flusses, und wir hockten wieder in unserem Büro.
Ich stand am Fenster, hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und wartete eigentlich darauf, zu unserem Chef, Sir James, gerufen zu werden, der allerdings noch unterwegs war. Die vergangene Nacht über hatte er mit bestimmten Leuten konferiert, die sehr an Julie interessiert gewesen waren und sie hatten untersuchen wollen, um ihre Kräfte gegebenenfalls für militärische Zwecke einzusetzen.
Das hatte ich glücklicherweise verhindern, nur Julie nicht retten können.
Suko kam aus dem Vorzimmer. Er trug ein Tablett, brachte Kaffee und Tee sowie zwei Sandwiches.
»Iß was, John!«
Ich hob die Schultern und setzte mich auf den Schreibtischstuhl.
»Hunger habe ich keinen.«
»Wegen Julie?«
»Genau.«
Suko nahm ebenfalls Platz. »Du darfst dir darüber den Kopf nicht zerbrechen. Wir haben unser Bestes getan. Es sollte eben nicht sein. Die Magie und die Kraft der anderen Seite waren zu stark. Hier, deine Tasse.« Er schob sie mir rüber.
»Sie hätte sich uns mehr anvertrauen sollen.«
»Wie meinst du das denn?«
»Von früher reden. Was ihr in ihren zahlreichen Leben widerfahren war. Und sie hätte uns vor allem Dingen von Janine berichten müssen, die im ersten Leben ihre Schwester gewesen war.«
»Hätte das etwas geändert?«
»Möglicherweise.«
Suko winkte ab. »Das ist doch Unsinn, John. Du steigerst dich da in etwas hinein.«
»Möglich. Mich schmerzt diese Niederlage. Sie kam wie ein Schlag aus heiterem Himmel.«
»Das stimmt allerdings.« Suko biß in sein Sandwich. »Iß auch etwas, John.«
Ich tat ihm den Gefallen und schielte gleichzeitig auf die zahlreichen Akten, die sich angesammelt hatten. Viele Informationen befanden sich darunter. Wir beide waren noch nicht dazu gekommen, den ganzen Papierkram durchzuschauen.
Dieser Tag war eigentlich ideal dafür, obwohl ich lieber zu Hause gesessen und melancholische Musik gehört hätte. »Es ist alles so anders geworden«, sagte ich.
»Wieso?«
»Nun ja. In den letzten Wochen haben wir nichts mehr von Van Akkeren gehört, Von Abbé Bloch, meiner Vergangenheit, den Templern und auch von unseren Freunden Kara und Myxin nichts. Irgendwie komme ich mir abgekapselt vor. Zudem ist der Eiserne Engel ebenfalls verschwunden, vielleicht sogar tot.«
»Dafür haben wir keine Beweise.« Suko nahm einen Schluck Tee.
»Dir geht auch heute alles quer.«
»Stimmt.«
Mein Freund und Kollege deutete auf den Aktenberg. »Wenn du schon hier hockst und Trübsal bläst, kannst du dich auch darin vertiefen. Wir müssen das Zeug
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