0525 - Tödliche Fotos
wußte Judy plötzlich mit einer fast tödlichen Gewißheit.
Wer war es?
Er lauerte vor ihr, war noch nicht vom letzten Licht der Lampe erfaßt worden, aber sie sah die Bewegung am Rand des Lichtscheins. Das mußte er einfach sein.
Und er kam näher!
Geheimnisvoll und gleichzeitig unheimlich erschien er in der einzigen Insel der Helligkeit.
Er stand da, rührte sich nicht und hielt etwas in der Hand, das wie ein Stab aussah.
Auch Judy bewegte sich nicht. Sie hatte sich etwas geduckt und dabei eine sprungbereite Haltung eingenommen. Im Rücken spürte sie die Härte der Tür. Sie war bereit, jeden Augenblick nach rechts oder links auszuweichen.
Dann kam er.
Judys Vorsätze waren vergessen. Irgendwie konnte sie nicht weg, denn sie sah kein Gesicht, sondern ein großes, helles Auge. Es war kreisförmig und schimmerte in einem matten Glanz.
Wie das Objektiv eines Fotoapparats.
Dieses Auge bannte Judy. Sie spürte ihr Zittern, die Angst peitschte in ihr hoch, und das Auge nahm von Sekunde zu Sekunde an Größe zu.
Es verdeckte den Hals, die Brust und den Kopf des Unbekannten.
Nicht aber dessen Arme.
Den rechten bewegte er. Er hob dabei auch den Stab an und kantete ihn nach vorn.
Dann holte er aus.
Judy schrie. Es war ein verzweifeltes Brüllen, das abrupt stockte, als sie den mörderischen Schlag an der Brust spürte. Einen Schlag, der absolut tödlich war.
Sie starb schnell, brach zusammen und sah nicht mehr, wie vor ihr etwas explodierte.
Ein Blitzlicht!
Judys Mörder versäumte es nicht, eine Aufnahme von der Toten zu knipsen…
***
Ich ging zurück zu Glenda, die an der Schreibmaschine saß und ihre Finger über die Tastatur fliegen ließ. Sie sah sehr konzentriert aus, blickte aber hoch, als ich neben ihr stehenblieb.
»Was ist, John?«
»Willst du sehen, was man mir geschickt hat?«
»Warum nicht?«
»Mach dich auf etwas gefaßt. Hier…« Ich ließ das Foto auf die Tastatur der IMB flattern.
Glenda nahm es mit spitzen Fingern an sich, warf einen Blick darauf – und erbleichte.
»Nun?«
»Mein Gott, das ist ja furchtbar.«
»Finde ich auch. Das Mädchen kenne ich nicht, und ich weiß auch nicht, aus welch einem Grund man mir das Foto geschickt hat. Eine junge Frau, die von einer Lanze getötet wurde.«
Glenda Perkins schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, John, auch ich habe sie noch nicht gesehen.« Sie gab mir das Foto zurück. »Was willst du jetzt machen?«
Ich zündete mir eine Zigarette an und blies den ersten Rauch in den Raum. »Natürlich werde ich herausfinden müssen, wer die Tote ist und wo man sie umgebracht hat. Ich werde mich zunächst mit der Mordkommission in Verbindung setzen.«
»Mit wem dort?«
»Chiefinspektor Tanner hat seine Augen und Ohren überall. Ich fahre jetzt zu ihm.«
»Gut. Wann bist du zurück?«
Ich schaute meine dunkelhaarige Sekretärin an, die einen engen, ziemlich kurzen Winterrock trug und einen Motivpullover. »Kann ich dir nicht sagen. Rechne in den folgenden Stunden erst mal nicht mit mir.«
»Gut.«
Ich griff zum Mantel. »Bis später dann.«
Das Wetter konnte man vergessen. In den letzten Wochen hatte es überhaupt nicht den Namen Wetter verdient. Erst war es sehr warm gewesen, in den letzten Tagen jedoch war ein Sturm über die Insel hinweggefegt, der sich gewaschen hatte.
Ein furchtbarer Orkan, der besonders in Irland starke Schäden hinterlassen hatte.
Auch jetzt stürmte es noch in Londons Straßen. Hinzu kam der kalte Regen, der manchmal auch als dicker Schnee fiel, wobei dieser sofort taute.
Wie immer erstickte London im Verkehr. Bis ich mit dem Wagen durchkam, würde doppelt so viel Zeit vergehen. Deshalb vertraute ich mich der U-Bahn an.
Chiefinspektor Tanner, einer meiner alten Kollegen, war der Chef der City-Mordkommission. Er war auch anderen Kollegen übergeordnet und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, seine Erfahrungen an die Jüngeren weiterzugeben. Wenn jemand wußte, wo die Tote gefunden worden war und wer sie unter Umständen war, dann Tanner, der Mann mit dem Hut und dem kalten Zigarrenstummel zwischen den Lippen.
Um diese Zeit waren die Wagen nicht überfüllt. Ich hatte noch einen Sitzplatz bekommen und ließ mich in die tiefen, dunklen Tunnels hineinschießen.
Mir gegenüber saß eine ältere Frau, die ihre beiden Einkaufstüten sehr fest umklammert hielt. Sie bemerkte meinen Blick und lächelte, weil sie mir wohl Vertrauen schenkte. »Man kann nie wissen, Mister, wer einsteigt. Ich habe da schon die
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