0528 - Der blaue Tod

beide Hände aus.
    »Nein!« schrie Raffael und schlug nach dem Blauen. Aber irgendwie durchdrangen seine Fäuste den Körper des anderen. Dessen Hände jedoch waren in der Lage, Raffael zu berühren und zu erfassen.
    Raffaels Schrei erstarb…
    ***
    Zamorras Versuch, den Blauen ins »Zauberzimmer« zurückzuzwingen, dauerte an. Er wiederholte die Formeln. Nach dem ersten Durchgang hatte der Sigill-Schädel aufgeleuchtet, mehr war aber nicht geschehen. Auch der zweite »Durchgang« erbrachte nichts anderes als ein Flackerlicht im Sigill.
    Es funktioniert nicht, dachte Nicole. Er kann keinen Beschwörungszauber einfach neu erfinden … Aber mußte nicht auch schon der allererste Zauber von irgendeinem Magier in grauer Vorzeit einmal erfunden worden sein? Für alles gab es ein erstes Mal. Warum sollte es nicht möglich sein, einen neuen Beschwörungszauber zu initiieren, der speziell auf den Blauen abgestimmt war? So, wie andere Beschwörungen auf jeweils andere dämonische Wesen abgestimmt waren?
    Aber der Blaue konnte kein normaldämonisches Wesen sein. Selbst mit einem Hauch Schwarzen Blutes wäre es ihm nicht gelungen, so einfach hier einzudringen. Der einzige Schwarzblütige, der es schaffte, den weißmagischen Schutzschirm zu durchdringen, war Sid Amos - und der versuchte es auch lieber in Zamorras britischem Besitz Beaminster-Cottage oder Llewellyn-Castle als beim Château Montagne. Und daß er es überhaupt fertigbrachte, mußte damit Zusammenhängen, daß er der Hölle den Rücken gekehrt hatte.
    Oder… gab es da einen neuen Trick, an dem der einstige Fürst der Finsternis insgeheim arbeitete? Hatte vielleicht er den Blauen geschickt, als eine Art Testperson, die herausfinden sollte, ob es möglich war, die Abschirmung zu umgehen?
    Auch wenn Nicole sicher war, daß Sid Amos jetzt auf Zamorras Seite stand - das traute sie dem Ex-Teufel trotzdem zu! Der alte Fuchs war stets nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht, was auch immer er plante und durchführte. Uneigennütziges Handeln war ihm fremd, und er ließ sich auch nicht vor einen fremden Karren spannen.
    Nicole schüttelte den Gedanken ab, versuchte sich wieder auf ihre Aufgabe zu konzentrieren: Zamorra überwachen, ihn notfalls schützen und vor allem den Blauen einfangen und festsetzen, wenn er auftauchte.
    Falls er auftauchte.
    Gerade beendete Zamorra den »dritten Durchgang« seines Zaubers…
    ***
    Der Auserwählte zuckte heftig zusammen. Eine seltsame, fremde Kraft rief nach ihm. Wie im Stroboskoplicht sah er vor seinem geistigen Auge etwas aufblitzen, das ihm verwandt war. Ein blauer , kristallischer Schädel! Damit wurde er gerufen!
    Oh, Zamorra war also doch einfallsreich. Der Auserwählte hatte nicht gedacht, daß er auf diese Möglichkeit stoßen würde. Nun, vielleicht hatte ja er selbst Zamorra den entscheidenden Hin weis gegeben…
    Das Problem für ihn war, daß er sich gegen einen Zwang dieser Art nicht wehren konnte. Er mußte ihm folgen. Das Schädel-Sigill verdichtete sich immer mehr, nahm schmerzhafte zwingende Gestalt an und übte Gewalt aus.
    Dies war dem Auserwählten nun doch etwas zu kreativ. Wütend brüllte er auf
    - und mußte folgen.
    Die Kraft riß ihn in das Zimmer, in welchem er aus dem Bild gestiegen war.
    ***
    Dort, wo sich das Schädel-Sigill befand, bildete sich aus dem Nichts heraus eine Gestalt. Der Vorgang ähnelte ein wenig dem »Beamen« in der TV-Serie »Raumschiff Enterprise«. Zuerst nur ein seltsames Leuchten, dann Umrisse, die in dem diffusen Flimmern immer fester wurden und schließlich einen Körper bildeten, während das Flimmern und Flackern verschwand. Was auch verschwand, war der Sigill-Schädel. Statt dessen stand in dem Zauberkreis der Blaue, in menschlicher Lebensgröße. Aber während der gesamten Zeit seines Materialisierens hatte er nicht ein einziges Mal ein etwas differenzierteres Aussehen gezeigt als nur reines Blau ..
    »Hab’ ihn…«, triumphierte Nicole.
    Es war deutlich zu sehen, daß der Blaue sich gegen die auf ihn einwirkende Kraft wehrte. Er hatte sich schon gegen das Herkommen gewehrt, aber es nützte ihm nichts. Er war in dem Kraftfeld, das Nicole um ihn herum aufgebaut hatte, gefangen. Gegen die Macht eines Dhyarra-Kristalls kam auch dieses Wesen nicht an.
    Es jetzt ausschalten… unschädlich machen… zerstören…? Damit vielleicht einen Dämon vernichten?
    Aber es konnte kein Dämon sein, zumindest keiner in landläufig-abendländischer Vorstellung! »Schiebe ihn in das Bild!«