0529 - Der Dschinn
schlimmer sein, als anstelle der Wirklichkeit immer nur die IMAGINÄRE WELT zu erleben und nicht entfliehen zu können? Gelehrter Zamorra, wenn du erlebt hättest, was ich erleben mußte, würdest auch du alles tun, diesem Schicksal für alle Zukunft zu entgehen…«
Plötzlich meldete sich das Amulett wieder. Rechtfertigt das auch, Realitäten zu verändern und Menschen durch diese Veränderungen und Täuschungen an den Rand des Wahnsinns zu treiben?
Etwas verblüfft über diesen Vorstoß, diese in dieser Form noch nie dagewesene Einmischung von
Merlins Stern, wiederholte Zamorra die Frage des Amuletts wörtlich.
»Du kennst dieses Schicksal, in einer IMAGINÄREN WELT gefangen zu sein, nicht«, sagte der Dschinn. »Aber wenn du erlaubst, Effendi, werde ich dir diese Welt zeigen!«
»Nein!« fuhr Nicole auf. »Nicht…«
Aber es war schon zu spät. Der Dschinn hatte Zamorras Einverständnis erst gar nicht abgewartet.
Er griff nach dem Parapsychologen und riß ihn in seine Welt.
Und Nicole, die noch versuchte, Zamorra festzuhalten und zurückzureißen, wurde mitgezogen, ehe sie es verhindern konnte…
***
»Hübsch häßlich«, bemerkte sie trocken. »Was ist das für ein Zimmer?«
»Hier verbrachte ich die letzten Jahrhunderte«, erklärte der Dschinn. Es war ein kreisrunder Raum, etwa fünfzehn Meter durchmessend und ohne jede Tür. Fenster gab es ebensowenig. Weiche, handgeknüpft wirkende Teppiche mit wunderbaren, komplizierten Mustern bedeckten den Boden und auch die Wände. Zehntausende von Arbeitsstunden mußten darin stecken. Hier und da lagen Ziegenfelle, überall waren Sitzkissen drapiert. Ein Schlaflager, ein kleiner Holzkohleofen, auf dessen Dreibeingestell eine kunstvoll ziselierte, goldene Teekanne stand… an einer anderen Stelle fand sich auf einem kleinen Tischschen eine Wasserpfeife. An den Wandteppichen waren verschiedene Musikinstrumente befestigt, aber auch einige goldgerahmte Bilder.
Zamorra sah nach oben. Aber da war keine Lampe, sondern nur eine Lichtfläche, durch die der Raum erhellt wurde. Doch als er näher hinsah und sich bereits wunderte, warum er sie anschauen konnte, ohne geblendet zu werden, veränderte diese Lichtfläche sich zu einem dunklen, unendlich langen Schacht, der sich nach Millionen von Lichtjahren in tiefster, undurchdringlicher Schwärze verlor.
»Keine Türen, keine Fenster«, murmelte Nicole. »Wie kommt man hier wieder 'raus?«
Der Dschinn deutete nach oben. »Das ist der Ausgang der Flasche«, sagte er. »Allerdings nicht der einzige…«
»Es gibt auch noch andere?«
Hadschi Achmed nickte. »Gewiß. Jedes dieser Gemälde, Mademoiselle, ist eine Tür in eine andere Welt.«
Zamorra trat näher an eines dieser Bilder heran. Es zeigte Château Montagne - so, wie es heute aussah. »Das ist also Realität? Eine Tür?«
»Gewiß, Effendi. Sie führt dich dorthin zurück, von wo wir gekommen sind.«
»Und die anderen Bilder führen an andere Orte.«
»Ja.«
»Wieso fühlst du dich dann als Gefangener? Oder ist es dir nicht möglich, sie zu durchschreiten?«
»Es ist mir jederzeit möglich. Dennoch vermochte ich nicht in die reale Welt hinauszugehen, solange der Korken die Flasche verschloß und ich hier gefangen war. Denn so viel ich auch mit den Fähigkeiten, die Allah mir verlieh, zu bewirken vermag, kann ich mich doch nicht selbst befreien. Das ist nur von außen möglich, durch die Hand eines Sterblichen.«
Zamorra nickte. Ähnliche Geschichten kannte er aus den alten orientalischen Märchen. Er hatte nur nie damit gerechnet, daß er selbst einmal in eine dieser »Geschichten aus 1001 Nacht« einbezogen werden könnte.
Er wunderte sich auch nicht darüber, daß der Dschinn ihm sein Handicap freiwillig preisgab. Zum einen mußte er damit rechnen, daß Zamorra, der Zauberei kundig, ohnehin über diese Gesetzmäßigkeiten Bescheid wußte, und zum anderen war er dazu gezwungen, sich zu offenbaren. Das gehörte zu seiner Erscheinung als Dschinn.
»Du sagtest, nicht in die reale Welt«, echote Zamorra. »Was für eine Welt steckt denn hinter diesen Bildern, wenn der Korken die Flasche versperrt?«
»Die IMAGINÄRE WELT, Effendi . Sie ist anders, sie kann sich ständig verändern, und ich kann sie mit großer Leichtigkeit verändern, wenn ich es will - viel leichter, als mir Veränderungen in der realen Welt möglich wären. Aber die IMAGINÄRE WELT ist in ihrer Ausdehnung begrenzt.«
»Also eine Art Dimensionsfalte?«
»Ich weiß nicht, was eine
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