0529 - Der Dschinn
»He, du bist nur ein ungebetener Überraschungsgast, der Zamorra und mich emnpfindlich in unserem Freizeitverhalten stört und ganz schnell wieder verschwinden sollte, wenn ihm mein Aussehen nicht paßt! Aber schön, Hadschi. Allerdings nicht mehr als einen Schleier!«
Im nächsten Moment war ihr Gesicht verschleiert. Der Dschinn dagegen, der mittlerweile vollständig materialisiert war, zeigte sich mit dem Erfolg nicht so recht zufrieden. Das war seinem Gesicht deutlich abzulesen. Nicole dagegen rupfte sich den Schleier wieder vom Kopf. »Lektion eins, Monsieur Flaschengeist«, sagte sie. »Laß dich nicht von mir auf den Arm nehmen. Ich wußte nicht, daß du meine Bemerkung ernst nehmen würdest. Aber ich denke, weder du noch ich wollen die Gebräuche deines Volkes verhöhnen. Deshalb wäre es Blasphemie, wenn ich diesen Schleier jetzt tragen würde, und du wärest ein Narr, wenn du ihn mir wieder aufzwingen würdest. Wir haben zu unterschiedliche Ansichten - in jeder Beziehung. Ich respektiere dich und deine Ansichten, und du wirst umgekehrt dasselbe tun.«
»Wenn es Allah gefällt«, erwiderte der Dschinn mißmutig.
»Ich weiß nicht, ob mein Verhalten jenem gefällt, den ich Gott nenne und du Allah. Aber solange er mich dafür nicht straft, gehe ich mal davon aus, daß meine Nacktheit kein Verbrechen ist - sonst hätte unser Schöpfer uns nicht alle nackt erschaffen. Also laß Allah aus dem Spiel, mein Freund.«
»Was weißt du schon von Allah, giaure?« fauchte der Dschinn.
»Dieser Mann«, sie deutete auf Zamorra, »und ich kämpfen gegen die bösen Dämonen, gegen die Dunkelmächte. Also gegen die Feinde jedes Gläubigen. Aber ich vermute, daß du nicht hier bist, um über theologische Probleme zu philosophieren, deren Lösungen im Koran nachzulesen sind.«
Sie gab Raffael einen Wink. Sie war nicht ganz sicher, ob er das tun würde, was offensichtlich war und worum sie ihn lautlos bat, aber er setzte das Tablett mit der Flasche ab und verließ den Raum.
»Ich weiß nicht, wogegen ihr wirklich kämpft«, erwiderte der Dschinn. »Dazu weiß ich zu wenig von euch und eurer Zeit. Ich bin nur gekommen, um dem Herrn dieses Hauses zu dienen, und allen, die seine Freunde und Gäste sind - sobald es nicht gegen Allahs Willen verstößt.«
»Da sei unbesorgt«, erwiderte Zamorra. »Immerhin hast du dich schon einigermaßen gut eingeführt - teilweise.«
»Es freut mich, diese Worte von dir zu hören, Effendi. Aber was deutest du mit dem letzten Wort an?«
Zamorra erhob sich; Nicole glitt auf die Sitzfläche des Sessels hinab. Zamorra blieb unmittelbar vor dem Dschinn stehen und streckte die Hand aus. Er schaffte es, Hadschi Achmed Dawuhd zu berühren, fühlte leichten Widerstand und registrierte das mit einem leichten Hochziehen der Augenbrauen.
»Mit dem ›gut eingeführt‹ meine ich, daß ich es positiv beurteile, daß du Lady Patricia Saris und ihren Sohn gerettet hast. Der Verkehrsunfall, du erinnerst dich, Hadschi?«
Der Dschinn verneigte sich. »Es war mir eine Freude und eine Ehre, Menschenleben bewahren zu können.«
»Aber es spricht auch eine Menge gegen dich.«
»Effendi!« entrüstete der Dschinn sich. »Nichts gibt es, das ich mir zuschulden kommen ließ! Allah ist mein Zeuge!«
»Wie Nicole vorhin schon sagte: Laß Allah aus dem Spiel«, warnte Zamorra. »Nicht, daß sein Zorn dich vielleicht verbrennen könnte…«
»Effendi!«
Raffael trat wieder ein und reichte Nicole einen seidenen Hausmantel, in den sie schlüpfte.
»Danke«, raunte sie ihm zu; er hatte ihren Wink verstanden, schien also wieder einigermaßen normal zu sein. Im gleichen Moment, als sie ihre Blößen bedeckte, atmete der Dschinn regelrecht auf.
»Es gibt eine Menge, das du dir zuschulden kommen ließest«, fuhr sie ihn sofort an. »Ist es nicht so, daß du diesen braven Mann unter deine Gewalt brachtest? Du zwangest ihn dazu, Dinge zu tun und zu sagen, die er unter normalen Umständen nicht übers Herz gebracht hätte! Du hast seine Seele vergewaltigt, Hadschi Achmed! Ist das Allahs Wille?«
»Bitte?« stieß Raffael erstaunt hervor.
»Du hast ihn also immer noch unter deiner Kontrolle«, fuhr Zamorra den Dschinn an. »Laß ihn sofort frei, oder der Scheitan wird dich in die Dschehenna zerren, weil du dem Bösen frönst!«
Der Dschinn lachte respektlos auf. »Gelehrter, was kann in der Dschehenna schlimmer sein als das, was ich eine Ewigkeit lang in meiner unverdienten Gefangenschaft erleiden mußte? Was kann
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