0531 - Das Grauen von Zagreb
Sie morgen früh von hier aus starten.«
»Danke.« Ich trank das Glas leer und schloß für einen Moment die Augen.
Ruhe, dachte ich, wann werden wir die einmal haben? In diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr…
***
Maria hockte in ihrem kleinen Zimmer, wo nur eine Lampe brannte.
Das Licht fiel so, daß auch der an der Wand hängende Spiegel aus der Dunkelheit gerissen wurde.
Sie sah sich in der Fläche, betrachtete ihren nackten Körper und stellte fest, daß sie etwas Speck angesetzt hatte. Wie ein kleiner Gummiring umgab er ihre Hüften.
Was sollte das alles, es kam jetzt auf ganz andere Dinge an. Sie hatte die Todeskarte gezogen und kannte auch die Spielregeln, die besagten, daß sie innerhalb von drei Nächten der großen Sehnsucht Folge leisten mußte…
Nicht einfach so, nein, es gehörte ein bestimmtes Ritual zum Sterben dazu, das die Darker als ihr Gesetz bezeichneten.
Maria ging auf das Bett zu, wo die Wäsche lag. Sie griff zu dem schwarzen Slip, schlüpfte hinein und nahm dann den dünnen Pullover, den sie überstreifte. Auch er war schwarz, ebenso wie der wadenlange Rock und die Strümpfe.
Die dunkle Farbe ließ die Bleichheit ihres Gesichts noch kräftiger erscheinen, aber auch das würde bald verschwinden. Maria setzte sich an den kleinen Tisch und holte aus einer Schublade eine Dose mit schwarzer Schminke. Mit den Fingerkuppen tupfte sie kleine Portionen auf ihr Gesicht, um sie dann zu verreiben. Ihre Bewegungen waren langsam, der Ausdruck ihres Gesichts blieb glatt. Der Blick hatte etwas Verlorenes an sich, eben wie bei einer Person, die längst mit dem Leben abgeschlossen hatte.
Nach ein paar Minuten war kein heller Hautflecken mehr zu sehen.
Als nächstes lackierte Maria ihre Fingernägel. Natürlich schwarz.
Der Lack besaß einen matten Glanz und trocknete rasch. Maria stand auf, holte ihre schwarzen Handschuhe und streifte sie über.
So angezogen, schaute sie in den Spiegel. Wäre sie eine Fremde gewesen, hätte sie sich vor sich selbst erschreckt, so aber nickte sie sich zu, weil sie zufrieden war.
Bis auf eine Kleinigkeit. Der Mund hob sich farblich noch zu sehr von der Schwärze des Gesichts ab. Sie nahm den ebenfalls schwarzen Lippenstift und malte sich die Lippen damit an.
Jetzt war sie zufrieden.
Zagreb gehörte zu den nördlichsten Großstädten des Landes.
Dementsprechend konnten die Nächte im März kühl sein. Maria zog sich deshalb eine Jacke an. Eine schwarze – natürlich.
Sie streifte die Jacke über und schloß nur den Mittelknopf. Den Griff der Tür bekam sie zu fassen, ließ die Finger auf dem Griff liegen und drehte sich noch einmal um. Ihr Blick fiel zurück in das Zimmer.
Es war klein, doch gemütlich. Das Bett, der Schrank, der Schminktisch, die Puppen, Plüschtiere aus den Kindertagen, die auf einem Regal standen und sie jetzt mit ihren dunklen Knopfaugen traurig anschauten, als wüßten sie genau, daß ihre Besitzerin nie mehr in dieses Zimmer zurückkehren würde.
Auch Maria dachte ähnlich. Ein etwas scheues und verloren wirkendes Lächeln legte sich auf ihren Mund. Jetzt wäre noch Zeit gewesen, den Weg wieder zurückzugehen, aber das konnte sie nicht.
Wer zu den Finsteren gehörte, der war ihnen mit Leib und Seele verschrieben, so auch Maria, die in zwei Tagen neunzehn Jahre alt wurde.
Zeit ihres Lebens hatte sie in diesem Zimmer gelebt. Als Kind, dann als Jugendliche und schließlich als junge Erwachsene. Nun war Schluß – endgültig. Auf sie wartete die andere Seite der Nacht, ein Reich, das für die Finsteren geschaffen war.
Vor ihr waren auch schon einige Freunde in dieses Reich gegangen, und sie fühlten sich dort sehr wohl, denn sie hatten sich gemeldet und von einem Glück berichtet, das es auf der normalen Erde nicht gab.
Das mußte man erlebt haben…
Maria würde es erleben. In nicht allzu langer Zeit war es soweit.
Sie hatte sich bewußt für diese Nacht entschlossen, weil sie ihrem Vorhaben entgegenkam.
Es war eine dieser dunklen Nächte, wo der tiefgraue Himmel mit der Finsternis verschmolz und den Ort damit einbettete.
Marias Zimmer lag in der ersten Etage des kleinen Hauses, in dem ihre Eltern lebten. Wenn sie das Haus verließ, mußte sie am Wohnzimmer vorbei, aber es gab auch einen anderen Weg.
Rechts lag die Treppe. Maria wandte sich nach links, wo am Ende des Flurs die Umrisse eines Fensters zu sehen waren. Vor dem grauen Rechteck der Scheibe blieb sie stehen und tastete nach dem Fenstergriff, der sich leicht nach
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