0533 - Die Drachen-Lady
dabei, sich aufzulösen.
Maureen wusch sich, zog sich an und wählte abermals das grüne Kleid. Es war ihr schönstes Kleidungsstück, es paßte zu ihr, und sie wollte schön aussehen, wenn der Drache kam.
Dann ging sie die Treppe hinunter. Maureen wußte, daß ihr Großvater längst auf den Beinen war. Normalerweise arbeitete er um diese Zeit in seiner Werkstatt oder im Freien, doch diesmal hörte das Mädchen die hellen Hammerschläge nicht.
Ernest Cooper saß in der Küche an dem klobigen Tisch und schaute ihr mit ernster Miene entgegen.
»Guten Morgen, Ernest!« sagte Maureen.
»Morgen, mein Kind.«
Sie reckte sich und holte Kaffee, der in der Kanne schwappte. Ernest Cooper hatte sie über dem Feuer heiß gestellt.
»Was möchtest du essen?«
»Nichts, Ernest.«
»Du sagst heute nicht Großvater?«
»Hattest du mir nicht angeboten, dich auch beim Vornamen nennen zu dürfen.«
»Das stimmt.«
»Na also.« Maureen setzte sich. Über den Tisch hinweg schauten die beiden einander an.
Ernest Cooper nickte nachdenklich. »Kind«, sagte er, »du bereitest mir Sorgen.«
Sie staunte ihn an. »Ich? Weshalb?«
»Es gibt Dinge, die sollte man ruhen lassen. Tu dir selbst einen Gefallen und rüttle nicht daran.«
»Aber was habe ich denn so Schlimmes gemacht? Ich bin dem Ruf gefolgt. Du wußtest doch, daß er mich erreicht, denn ich habe damals das Drachenei gefunden.«
»Leider.«
»Nein, Großvater, nicht leider. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Ich habe meine Erfüllung gehabt.«
Die Hände des älteren Mannes ruhten auf der Tischplatte. Es waren Hände, die von einem arbeitsreichen Leben zeugten. Sie waren schwielig und trotzdem die eines Künstlers, was er tagtäglich beweisen mußte, wenn er seiner Arbeit nachging.
»Meine Sorgen werden größer.«
Maureen beugte sich vor. »Was redest du da, Großvater? Sorgen brauchst du dir nicht zu machen. Ich komme wunderbar zurecht, glaub mir. Es ist einfach herrlich, wenn ich…«
»Ja, schon…« Der alte Mann wiegte den Kopf. »Ich sehe es nur anders. Du hast das Drachenei gefunden, du hast die Höhle entdeckt. Man hat es ausgestoßen, man wollte das Ei nicht haben. Selbst in einem Land wie Aibon nicht.«
»Ich legte es an die Sonne. Durch die Wärme platzte die Schale, und mein Freund entstand.«
»Dein Freund?«
»Ja, Ernest, er ist mein Freund. Ich reite auf ihm, fliege mit ihm durch die Lüfte. Es ist einfach ein herrliches Gefühl, von ihm geliebt zu werden. Wenn ich auf ihm sitze, dann spüre ich seine Zuneigung. Er bringt sie mir entgegen, es ist wie ein Strom. Ich kenne seine Gedanken…«
»Böse Gedanken.«
»Nein, Großvater. Wie kommst du darauf?«
»Wo bist du in der Nacht gewesen, Kind?«
»In Greenland.«
»Mit ihm?«
»Ja.«
»Was hast du dort getan? Welche Botschaft hast du den Menschen in Greenland überbracht?«
»Ich habe ihnen erklärt, daß sie dort nicht mehr bleiben können. Daß diese Küste wieder das werden muß, was sie vor langer, langer Zeit einmal gewesen ist.«
»Man kann sie den Menschen nicht wegnehmen.«
Maureen nickte. »Doch, man kann. Man muß sogar.«
»Nein, Kind. Ich werde dir immer widersprechen. Die Menschen haben dieses Gebiet bewohnt, sie haben es kultiviert, sie haben ein Recht darauf, zu bleiben.«
»Die Drachen besitzen die älteren Rechte, Großvater.«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Wie kannst du nur so reden, Kind? Ich kenne dich nicht mehr wieder.«
Maureen hob die Schultern. »Als ich das Ei des Drachen fand, hat sich etwas verändert. Ich kam mir vor wie eine Befreierin. Ich erlebte Dinge, die ich sonst nie erlebt hätte. Ich hörte Stimmen, ich sah in ein anderes Land. In der Nacht, wo andere Menschen tief und fest schliefen, öffnete sich mein Blickwinkel. Ich konnte hineinschauen in wunderbare Welten. Ich sah in die Vergangenheit und wurde dar über aufgeklärt, daß wir Menschen vieles falschgemacht haben.«
»Das gehört zum Menschsein. Wir sind nicht perfekt, Maureen, glaube das nur nicht.«
Die Augen des Mädchens hatten einen träumerischen Ausdruck bekommen. »Du kannst sagen, was du willst, Großvater, ich habe meine Bestimmung jedenfalls gefunden. Mein Leben wird von nun an in anderen Bahnen verlaufen. In der letzten Nacht habe ich damit begonnen, und ich werde diese Dinge auch fortsetzen.«
»Was willst du tun?«
»Mein Versprechen einlösen!«
Der Blick des alten Mannes nahm einen fragenden und auch starren Ausdruck an. »Wie lautet dein Versprechen,
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