0533 - Die Drachen-Lady
normaler Ort und trotzdem anders.
Vielleicht lag es auch an den Menschen, die hier lebten. Meine Fahrt wurde beobachtet. Die Männer und Frauen schauten aus den Fenstern, standen auch vor ihren Haustüren, niemand befand sich auf den Feldern. Mir kamen sie vor, als würden sie auf etwas warten. Sicherlich nicht auf meine Ankunft.
Dieses Warten galt wohl mehr dem Ungeheuer, von dem Bill Conolly mir berichtet hatte.
Ich wußte auch, mit welch einem Fahrzeug sie unterwegs waren.
Den Geländewagen entdeckte ich in der Dorfmitte. Er war am linken Straßenrand geparkt worden, nicht weit von einem Gasthaus entfernt, in dem die Conollys auf mich warten wollten.
Vor dem Haus ließ ich den Rover ausrollen. Mit etwas steifen Knochen stieg ich aus, reckte mich, die Tür des Lokals schwang auf, und ein langer Schatten huschte hervor, der mich ansprang, als er mich entdeckte. Es war die Wölfin Nadine, die mich so stürmisch begrüßte. Sie drückte mich zurück, wollte mein Gesicht lecken. Ich lachte, kraulte ihr Fell und sah meinen Freund Bill, der das Gasthaus ebenfalls verlassen hatte. Sein Lächeln wirkte gequält, als wir uns begrüßten und uns gegenseitig auf die Schultern schlugen.
»John, ich freue mich.«
»Ich auch.«
Bill verzog den Mund. »Hoffentlich haben wir auch weiterhin Grund zur Freude.« Er deutete auf das zerstörte Fenster. »Weißt du, was das ist?«
»Klar, ein Fenster ohne Scheibe.«
»Richtig. Das Glas wurde vom Schnabelhieb des Flugdrachen zertrümmert.«
»Vor oder nach deinem Anruf?«
»Nachher.«
»Dann hat das Tier den Ort angegriffen?«
Bill wiegte den Kopf. »Fast, kann man sagen. Vielleicht sollte es eine Attacke sein, obwohl es mir eher wie eine Warnung vorkam. Außerdem gibt es zwischen dem Flugdrachen und dem Mädchen namens Maureen Cooper eine Verbindung zu Aibon.«
»Tatsächlich?«
»Du kannst dich darauf verlassen. Aber jetzt komm erst mal rein. Du wirst Hunger haben.«
»Es geht.« Ich zog den Kopf ein, als ich die alte Gaststube betrat.
Sie wirkte robust, gemütlich und gleichzeitig bieder. Die Wirtin begrüßte mich etwas scheu, ihr Lächeln wirkte gekünstelt. »Und Sie wollen tatsächlich den Drachen stoppen, Mister?«
»Ich versuche es.«
Die Frau bekam eine Gänsehaut. »Da haben Sie sich aber eine Menge vorgenommen.«
»Mal sehen.« Ich wandte mich an Bill. »Wo sind Sheila und Johnny?«
»Oben in unserem Zimmer. Sie werden sicherlich gleich kommen.«
»Okay, einen Schluck Mineralwasser könnte ich trotzdem vertragen.«
Die Wirtin brachte zwei Flaschen, weil Bill auch etwas trinken wollte. An einem runden Tisch ließ ich mich nieder und nickte meinem Freund zu. »Jetzt erzähl mal, Alter.«
»Da gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Der Drache ist noch einmal erschienen.« Er gab mir einen Bericht darüber ab, wie er aufgetaucht war und was das Mädchen gesagt hatte.
Ich schaute dem Rauch der Zigarre nach. »Die Drachen sollen also wieder die Herrschaft übernehmen.«
»So ist es.«
»Würdest du diesen Vogel denn als Drachen bezeichnen?«
»Nein, als einen Flugsaurier, den man bei gutem Willen zur Familie der Drachen zählen kann.«
»Und er gehorcht dieser Maureen?«
»Anscheinend.«
»Dann muß sie in einer gewissen Beziehung zu dem Tier stehen. Oder meinst du nicht?«
»Davon gehe ich ebenfalls aus.« Bill räusperte sich. »Außerdem darfst du Aibon nicht vergessen.«
»Ja, stimmt auch.« Ich goß noch einmal nach. »Die Kleine hat diesem Ort eine Galgenfrist gesetzt. Wir sollten sie nutzen, Bill.«
»Ich weiß, du willst zu ihr.«
»Genau.« Ich stand auf. »Aber zuvor werde ich deine Frau und mein Patenkind begrüßen.«
»Tu das.«
Auf dem Weg nach oben schüttelte ich den Kopf. Drachen, dachte ich, wo gibt es denn so etwas – eigentlich nur in Märchen. Aber oft genug sind Märchen schon wahr geworden. Gerade ich konnte ein Lied davon singen…
***
Es war eigentlich gewesen wie immer. Sie war zurückgekehrt, in das Haus getreten, hatte ihren Großvater schlafend vorgefunden und war leise in ihr Zimmer gegangen, wo sie sich ins Bett legte und erst durch die Strahlen der Sonne geweckt wurde, die einen matten Glanz auf die wogende Oberfläche gelegt hatten und auch die Drachenküste mit ihrem Schein vergoldeten.
Maureen Cooper stand auf und trat ans Fenster. Sie warf jeden Morgen einen Blick über das Meer, um es zu begrüßen, wie sie sagte. Die Luft war frisch, noch herrlich kühl, Dunstschleier wogten in der Ferne, waren aber
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