0538 - Der Wechselbalg
Aber immerhin, nicht minder ungewöhnlich, bereits seit dem frühen Morgen auf den Beinen gewesen, um den Behördenkram zu erledigen. Daß er jetzt müde war, war nur natürlich.
Nicole beschloß, ihn in dieser Nacht nicht mehr zu stören. Schließlich hatten sie ihre eigenen Zimmer, damit man sich zur Not auch mal aus dem Weg gehen konnte. Schön, würde sie diesmal also einmal allein schlafen. Aber vorher wollte sie noch etwas anderes erledigen.
Sid Arnos anrufen!
Vielleicht erwischte sie ihn ja noch…
Es war kurz vor Mitternacht. In El Paso, Texas, mußte es jetzt kurz vor 17 Uhr sein. Also rief sie bei der Tendyke Industrie, Inc. an.
Trotz modernster Satellitentechnik dauerte es diesmal fast eine Viertelstunde, bis die Verbindung zustandekam. Dann hatte sie endlich die Telefonzentrale der T.I. in der Leitung und bat darum, mit Mr. Sam Dios verbunden zu werden, wie der Ex-Teufel mit den vielen Namen und Identitäten sich dort nennen ließ.
Man bedauerte. Mr. Dios befinde sich seit mehr als einer Woche in Urlaub.
Der Name Zamorra war bei der T.I. bekannt; man gab ihr die private Telefonnummer von ›Mr. Dios‹. Nur konnte sie ihn dort, nach diesmal erstaunlich kurzer Wartezeit, auch nicht erreichen.
Möglicherweise befand er sich irgendwo in der Weltgeschichte - oder auch an einem ganz anderen Ort im Universum, um dort seine Interessen zu verfolgen. Daß Sam Dios bei der T.I. Urlaub machte, bedeutete längst nicht, daß auch Sid Amos oder Asmodis ausspannte. Dämonen seiner Art benötigten weder Urlaub noch Schlaf, und daran änderte auch nicht, daß Asmodis vor ein paar Jahren der Hölle den Rücken gekehrt hatte.
Sie zog sich in ihre Zimmerflucht zurück, warf sich aufs Bett und versuchte sich in den Schlaf zu lesen. Das allerdings wollte nicht so recht funktionieren. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um Sid Amos und seinen seltsamen Hinweis, und dann natürlich auch um Kerr, an dessen tragischen Tod die Erinnerung wieder frisch aufgerissen war.
Wo sollte sich Zorak jetzt aufhalten?
In Arlebosc?
Auf der Landkarte fand sie den Ort schnell. Aber was wollte ein dermaßen starker Dämon in einem solch kleinen Hinterwäldlerkaff? Da wünschten sich doch Fuchs und Hase nur deshalb nicht eine gute Nacht, weil sie schon längst in attraktivere Orte weggezogen waren, und die Bürgersteige wurden nachts auch nicht hochgeklappt, weil sie noch keiner erfunden hatte. Nur der Mond wurde vermutlich nachts noch mit der Stange weitergeschoben.
In größeren Orten wie Tournon, Valence, St. Etienne oder Lyon mußte Zorak schließlich ein viel besseres Jagdgebiet haben. In Arlebosc fiel er doch zu sehr auf.
Weshalb, beim Knisterschweif der Panzerhornschrexe, sollte er sich also ausgerechnet dort ansiedeln?
Da stimmte doch etwas nicht!
***
Bevor sie am nächsten Mittag nach Arlebosc fuhren, teilte Nicole Zamorra ihre Bedenken mit.
»Vielleicht«, überlegte Zamorra, »ist gerade das die beste Tarnung. Niemand wird ernsthaft damit rechnen, daß ein Dämon sich auf dem Lande niederläßt. Vielleicht hat er dort eine Tarnexistenz errichtet und gilt als ein braver Bürger, der sich ins Vereinsleben integriert hat und abends am Stammtisch Volkslieder singt. Vielleicht geht er sogar einer geregelten Tätigkeit nach. Seine dämonischen Triebe übt er dann nachts aus, an ganz anderen, weit entfernten Orten.«
»Aber sein Aussehen! Sagtest du nicht, er hätte spitze Ohren wie Mr. Spock vom Raumschiff Enterprise? Das muß doch auffallen! Er kann auch nicht ewig Hut oder Mütze tragen, um die Spitzen zu verbergen.«
»Die meisten Dämonen können ihr Aussehen verändern«, erinnerte Zamorra. »Entweder läßt er die Ohrspitzen einfach verschwinden, wenn er sich unter Menschen bewegt, oder er beeinflußt seinen Gegenüber so, daß der die Ohren einfach nicht wahrnimmt. Wahrscheinlich ahnen die Einwohner von Arlebosc gar nicht, daß ein Dämon unter ihnen weilt.«
»Immer vorausgesetzt, die Information stimmt - was ich nach wie vor bezweifle.«
Zamorra lenkte den silbergrauen BMW 740iL südwärts, bis St. Etienne über die Autobahn und dann, nach der letzten Mautstelle, über kurvenreiche und zeitraubende Landstraßen. Der Himmel war grau und wolkenverhangen; Zamorra schaltete die Scheinwerfer ein. Zeitweise regnete es, und kurz vor dem Ziel kamen auch ein paar Schneeflocken herunter. Für die etwa hundert Kilometer - nicht Luft-, sondern Straßenlinie - brauchten sie fast zwei Stunden. Schließlich parkte Zamorra die
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