0538 - Der Wechselbalg
soll das eigentlich? Wer sollte einen Grund dafür haben, so etwas zu tun?« Sie senkte den Kopf wieder und fuhr leise fort: »Außerdem ist ohnehin alles sinnlos. Arlene ist gestorben.«
»Wie gestorben? An einer Krankheit? Bei einem Unfall?«
»Was geht Sie das an? - Sie hat einfach die Augen zugemacht und ist nie wieder erwacht. Plötzlicher Kindstod, so nennt man das wohl, oder? Dabei war sie immer kerngesund und so unglaublich vital.«
»Carrie Zoraque«, erinnerte Zamorra sie wieder. Er sprach langsam und eindringlich. Eine leichte, beruhigende Hypnose schwang in seiner Stimme mit. Nicole bemerkte es; Gabrielle unterlag dem Einfluß allmählich. »Sie sagten, sie sei etwas seltsam gewesen. Wie äußerte sich das?«
»Sie schien manchmal ebensowenig aus dieser Welt zu sein wie Arlene. Und sie paßten zusammen. Carrie war ein Glücksfall für uns. Wir brauchten einen Babysitter. Damals wollte… nein, mußte ich wieder arbeiten, weil das Geld nicht reichte. Da kam Carrie und bot von sich aus an, auf Arlene aufzupassen, wenn mein Mann und ich zur Arbeit waren oder wenn wir auch mal ins Kino wollten. Sie hat nicht einmal Geld dafür haben wollen. Sie sagte, es mache ihr einfach Spaß, sich um Arlene zu kümmern und sie zu bemuttern, weil sie selbst keine Kinder haben dürfe und Arlene genau so aussähe, wie sie sich eine eigene Tochter vorgestellt hat.« Sie schluckte. »Sie paßten gut zusammen. Sie waren wie füreinander geschaffen. Manchmal wurde ich fast eifersüchtig, wenn ich die beiden zusammen sah. Dazu kam, daß Arlene sich von Carrie jederzeit berühren ließ. Bei René und mir stellte sie sich manchmal an, als solle sie lebendigen Leibes am Spieß gebraten werden, wenn wir sie anfassen wollten. Manchmal, nicht immer, natürlich. Aber bei Carrie gab es dieses Problem nie. Und nun… nun haben wir beide keine Tochter mehr. Carrie zog dann weg, als Arlene tot war. Ich glaube, sie hat es nicht verkraftet.«
»Da war aber noch etwas«, warf Nicole leise ein. Als Telepathin spürte sie einen seltsamen Erinnerungshauch, den Dozard selbst schon fast verdrängt hatte. Doch unaufgefordert wollte sie selbst nicht in Gedanken und Gefühlen der Frau forschen. Außerdem galt ihre erhöhte Aufmerksamkeit einer anderen Sache… »Möchten Sie es uns nicht verraten? Sie erwähnten vorhin auch, daß Sie damals viele schlimme Träume hatten.«
»Vielleicht hat Arlenes oft ungewöhnliches Verhalten dafür gesorgt. Ich konnte schlecht schlafen und erlebte alles ständig noch einmal, so ungeheuer intensiv und aus der Sicht des Kindes. Nach ihrem Tod war es damit vorbei. Ich habe auch dann noch schlecht geschlafen und habe auch heute manchmal noch böse Träume, aber es ist nicht mehr so wie damals. Worauf wollen Sie mit Ihrer Fragerei eigentlich hinaus? Wollen Sie Carrie etwas anhängen?«
»Wir wollen nur so viel wie möglich über sie erfahren. Es könnte sein, daß sie mehr mit dem Kind verband als nur ein Babysitter-Verhältnis.«
»Sie sind ja verrückt!« wehrte sich Dozard. »Sie kommen hierher, stellen die merkwürdigsten Fragen und geben keine Erklärungen dafür! Sie reißen nur alte Wunden wieder auf! Sie sollten besser gehen!«
»Sie haben recht«, sagte Nicole besänftigend. »Bitte verzeihen Sie, daß wir Sie belästigt haben.«
Sie erhoben sich und verließen das Haus. Während sie langsam zum Auto zurückgingen, sah ihnen Gabrielle Dozard noch lange nach. Vielleicht fragte sie sich, ob jemals wieder alles so werden konnte, wie es einmal war…
***
»Weißt du, was ich die ganze Zeit über befürchtet habe? Einen Angriff. Ich an Zoraks Stelle hätte zugeschlagen, während wir angestrengt den Worten Madame Dozards gelauscht haben. Wir wären abgelenkt gewesen, und…«
»Ich denke eher, daß Zorak überhaupt nicht damit rechnet, daß wir hier sind. Dieses Kind… seltsam, nicht? Es könnte wirklich ein Wechselbalg sein. Ein Dämonenkind. Zoraks Kind!«
»Du hast der Frau damit Angst gemacht. Es war absolut überflüssig, diese Möglichkeit zu erwähnen!«
»Trotzdem werde ich diesen Gedanken nicht mehr los. Es würde die Verbindung zwischen Carrie Zoraque und Arlene Dozard erklären, diese starke Hingezogenheit. Vermutlich ist die vermeintliche Arlene gar nicht tot. Der Dämon wird sie mitgenommen haben, als er Annonay verließ. Madame Dozard sagte, das Kind habe sich sehr schnell entwickelt. Vielleicht zu schnell, so daß es aufgefallen wäre. Also gaukelte Zorak den Kindstod vor und verschwand
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