0539 - Der Alptraum-Schädel
Gesicht, das einen gespannten Ausdruck angenommen hatte.
Die Lippen waren noch blasser und dünner geworden, seine Augen hatten einen lauernden Ausdruck angenommen.
Er drehte den Kopf und peilte zu seinen Meßgeräten hin. Wahrscheinlich hatte Menco Schwingungen im Mauerwerk wahrgenommen.
Gespannt warteten wir ab.
Der Geisterjäger wurde jetzt noch vorsichtiger. Er sank zu Boden, ohne daß er Geräusche abgab. Nach wie vor führte er das Mikro dicht an der Wand entlang. Sein Gesicht hatte einen konzentrierten Ausdruck angenommen. Wir sahen sein scharfes Profil, sogar seine Nasenflügel begannen zu zittern.
Dann richtete er sich auf. In seinen Augen lag ein triumphierendes Leuchten.
Ich stellte ihm eine »stumme« Frage. Nur mit den Blicken, die er verstand. Er nickte.
Im nächsten Augenblick streifte er den Kopfhörer ab, so daß er wieder normal sprechen konnte.
»Haben Sie etwas gehört?« fragte Pablo.
»Klar.«
»Was denn?«
»Stimmen.« Menco hatte eine Gänsehaut bekommen. »Sie haben sich schaurig angehört, als wären sie nicht von dieser Welt. Sie… sie waren einfach furchtbar, so weinerlich, klagend, als hätte jemand ungemein viel zu leiden.«
»Sind Sie sicher?« wollte ich wissen.
»Ja, Señor Sinclair. In dieser Wand steckt etwas, das nicht von dieser Welt ist.«
»Von welcher dann?«
»Aus dem Jenseits. Das müssen die Stimmen der Toten gewesen sein. Die Stimmen der Gesichter.«
»Wie hörten sie sich denn an?«
»Schrecklich«, gab er flüsternd zurück. »So leidend, so unheimlich, einfach schlimm.«
»Darf ich mal?« Ich streckte meinen Arm aus. Er wußte genau, daß ich die Kopfhörer haben wollte.
»Bitte.«
Ich streifte sie mir über. Auch das Mikrofon drückte mir Menco in die Hand. Als er zur Seite ging, hörte ich seine Tritte unangenehm laut als Echos.
Dann wurde es ruhig. Ich schlich leise auf die Wand zu. Das Mikro hielt ich in der rechten Hand und fuhr mit dem silbrig glänzenden Kopf behutsam das Mauerwerk ab.
Zunächst hörte ich nichts, das heißt bis auf einige Fremdgeräusche, wahrscheinlich abgegeben durch das Atmen der Zuschauer. Ich fuhr mit dem Mikro der Decke entgegen – und schrak plötzlich zusammen, denn da hatte ich tatsächlich etwas vernommen.
Laute, die einfach nicht zu den anderen Geräuschen passen wollten. Menco hatte zuvor von einem Klagen oder Weinen gesprochen.
Und genau das bekam ich auf den Kopfhörer.
Ich blieb stehen und hatte dabei das Gefühl, selbst so starr wie das Mauerwerk zu werden.
Das waren Stimmen, eindeutig. Sie klangen unheimlich, geisterhaft. Als ich das Mikro wandern ließ, schaute ich noch einmal zurück. Das Mikrofon war an einen Recorder angeschlossen, der die Stimmen aufnahm. So würden wir sie, wenn Menco sie abspielte, alle hören können.
Sie waren nicht konstant. Es gab genügend Lücken im Mauerwerk. Als ich mich so lautlos wie möglich in Richtung Fenster bewegte, hörte ich die klagenden, unheimlichen Totenlaute abermals, und auch ich konnte die Gänsehaut nicht vermeiden.
Ich hatte genug gehört, streifte die Kopfhörer ab und überreichte sie Menco.
»Na?« fragte er.
»Er hat recht gehabt«, erklärte ich auch den anderen und wischte Schweißtropfen von der Stirn. »Die Stimmen existieren tatsächlich. Sie dringen aus der Wand.«
»Zweifel ausgeschlossen?« fragte Suko.
»Das weiß ich nicht. Ich kann mich nur darauf verlassen, was ich vernommen habe.«
»Und darauf«, sagte Menco. Er stellte die Kassette ab und ließ den Recorder zurücklaufen. An einer bestimmten Stelle stoppte er ihn, hob einen Finger an und ließ das Band ablaufen, wobei er noch die Lautstärke regulierte.
»Es muß kommen«, sagte er leise. »Sie werden alle die Stimmen hören und wissen, daß ich mich nicht geirrt habe.«
Wir warteten ab. Einige Sekunden verstrichen. Dann vernahmen wir alle die unheimlich klingenden, singenden und jammernden Laute aus dem Totenreich. Es gab keinen unter uns, der nicht eine Gänsehaut bekommen hätte. Das war tatsächlich eine Botschaft aus einer fremden Welt. Die Stimmen drangen aus einer anderen Ebene zu uns, aus dem Geisterreich, der Welt der Körperlosen, der Toten.
Obwohl die Familie Grenada schon einiges hinter sich hatte, konnte sie sich diesmal einer Gänsehaut nicht erwehren. Auch Carmen sah aus, als hätte man ihr Gesicht überpinselt.
Manchmal hörten sich die Stimmen an, als würden die Geister unter starken Schmerzen leiden. Sie klagten, sie schrieen leise, sie standen einfach
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