054 - Die Gespenster-Dschunke von Shanghai
Hafenviertel der Stadt wurde im Morgengrauen in der Nähe
einer Opiumhöhle ein Mann tot aufgefunden. Nun ist das an sich in dieser Gegend
nichts Besonders und normalerweise werden wir nicht über Morde in Kenntnis
gesetzt, die Sache der dortigen Polizeibehörden sind. Aber diesmal spielen
einige Faktoren mit, die die Stellen in Shanghai veranlaßt haben, uns umgehend
zu informieren. Die Regierung scheint offenbar eine Verbindung zu einem Fall zu
sehen, bei dem sie uns vor gar nicht allzu langer Zeit um Mithilfe bat. Da
ging’s um unheimliche und lebensfeindliche Experimente mit Menschen. Durch eine
Veränderung der Genstruktur wurden Monster geschaffen.«
»Die
Sache mit der Horror-Maschine«, sagte Larry. »So etwas vergißt man nicht so schnell.«
»Offenbar
befürchten die Stellen dort eine Neuauflage der Geschichte, weil sie uns so
schnell informierten. Der Tote, den man fand, hatte einen Drachenkopf, einen
richtigen, wohlbemerkt, und keine Attrappe.«
Damit
stand Larrys Auftrag fest: Abflug nach Shanghai, Kontakt-Aufnahme mit dem
Polizei-Kommissar der Stadt und sofortige Überprüfung aller unklaren Punkte.
X-RAY- 3 machte sich sofort reisefertig. Was einem Normalsterblichen nicht
möglich war, nämlich in einer Stunde eine Flugverbindung nach Shanghai zu
bekommen, wurde durch X-RAY-1 realisiert. Eine rotchinesische Militär-Maschine
erhielt die Erlaubnis zur Landung, und Larry Brent verließ Hongkong.
Während
die Maschine der Luftwaffe mit dem Himmel eins wurde, jagte Su Hangs frisierter
2CV über eine holprige Bergstraße, an deren Rand baufällige Hütten und Ställe
standen, über die Hühner und Enten marschierten. Schmutzige Kinder spielten am
Wegrand oder hockten im Schatten der Hütten, sprangen auf, als das knallgelbe
Auto sich näherte und liefen ihm winkend und schreiend nach, bis es hinter der
nächsten Kurve oder an einer Weggabelung verschwand. Die Strecke wurde noch
schmaler, steiler und holpriger, aber der 2CV schaffte sie ohne
Schwierigkeiten.
Su
Hang kam in eine völlig verwilderte, steinige Gegend. Nur hier und da wuchs
noch ein Busch oder ein verkrüppelter Baum, dessen Wurzeln in dem kargen
Gelände kaum Nahrung fanden. Unter einem Felsvorsprung stand eine mickrige
Hütte, die man eher als Stall bezeichnen konnte. Windschief hing die Tür in den
Angeln, die Dachpappe war an manchen Stellen dünn wie Papier und hing steif
über dem Dachrand. Die Fenster waren winzig. Vor der Hütte stand eine primitiv
gezimmerte Bank, davor ein nicht minder einfacher Tisch. Hühner liefen gackernd
davon, als der 2CV in der menschenleeren Gegend aufkreuzte. Hinter einem
Drahtverhau grunzten Schweine und suhlten sich in Schlammlöchern, die der
Bewohner der Hütte für sie angelegt hatte. Zwischen mannshohen Felsbrocken rund
zwanzig Meter von der Hütte entfernt, graste ein Esel. Su stoppte direkt vor
der Tür. Die Staubwolke, die das Fahrzeug hinter sich hergezogen hatte, senkte
sich nur widerwillig zu Boden. Als die kleine Chinesin aus dem Fahrzeug stieg,
merkte sie sofort, daß sie nicht mehr allein war. In der Tür stand ein uralter
Mann, sehnig, mit schulterlangem, weißem Haar. Sein Gesicht sah aus wie
gegerbtes Leder und wirkte doch eigenartig glatt und jugendlich. Kluge Augen
musterten Su Hang.
»Guten
Tag!« grüßte sie freundlich und bemühte sich nicht, ihre Überraschung zu
verbergen. »Ich habe Sie gar nicht wahrgenommen, als ich hochfuhr, Chen.« Jedes
Kind in und um Hongkong kannte den Namen des Alten. Er war ein Original.
»Als
du ankamst, meine Tochter«, sprach er sie in vertraulichem Tonfall an, »war ich
eben dabei, meinen Mittagsschlaf zu nehmen…«
»Oh,
das tut mir leid. Dann komme ich ungelegen.«
»Der
Krach, den du mit deinem Vehikel verursachst, hat mich angelockt«, fuhr er
fort, ohne auf ihre Zwischenbemerkung zu reagieren. »Ich habe geglaubt, ein
Flugzeug stürzt vor meiner Haustür ab.« Das war sicher übertrieben. Aber
vielleicht hatte Chen, der die Einsamkeit und Stille gewöhnt war, den Lärm
tatsächlich so intensiv empfunden. Der weißhaarige Chinese, der aussah wie ein
Asket, war in ein flammendrotes, einfaches Gewand gehüllt, wie es thailändische
Mönche zu tragen pflegen. »Kann ich Sie sprechen, Chen?« wandte sie sich an ihn
und blieb stehen. »Ich nehme an, daß du einen bestimmten Grund für deinen
Besuch hast. Nur, um hier hochzufahren, Staub aufzuwirbeln und die Hühner zu
verjagen, wirst du wohl nicht gekommen sein«, entgegnete er trocken. Sie
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