054 - Gabe und Fluch
Abmessungen verrieten, dass dort früher ein Spiegel gehangen hatte. Er war entfernt worden, als er auf dieses Zimmer verlegt wurde.
»Willst du wissen, wie du aussiehst?« Fudoh nickte.
»In Ordnung«, sagte Takashi. »Du bist jetzt ein Mann, der über sein eigenes Schicksal entscheidet.« Er rief den leitenden Arzt herein und verlangte, dass Fudoh die Verbände abgenommen wurden. Zwischen Shögun und Mediziner entspann sich ein kurzer Disput, ob dies zum Wohle des Patienten sei, doch Takashi setzte sich schließlich durch. Die Macht des Shögunats war seit dem Überfall kräftig gewachsen.
Fudoh ließ keinen Schmerzlaut hören, als die Mullbinden von seinem Kopf entfernt wurden. Aufgeregt trommelte er mit den Fingerkuppen auf seine Oberschenkel, während Takashi einen Handspiegel ins Krankenzimmer brachte.
Der Blick hinein ließ Fudoh seltsam kalt. Es war so schlimm, wie er es sich ausgemalt hatte. Nicht besser, aber auch nicht schlechter.
Sein Gesicht wirkte wie ein Haufen Fleischabfälle, die beim Schlachter vom Boden aufgekehrt worden waren. Nur die beiden wachen Augen, die in der Masse funkelten, hatten etwas entfernt Menschliches. Die entblößten Zahnreihen verdammten ihn zu einem ewigen Grinsen, das seinem Gemütszustand gänzlich widersprach.
»Die Schwellungen gehen noch zurück«, versicherte der Arzt eilig. »An den Narben und Brandwunden lässt sich auch einiges machen.«
Fudoh winkte ärgerlich ab, bevor ihm der Kerl noch Nase und Ohren aus Plastik anbot. Er wollte lieber zu seinem Makel stehen, als sich durch solche Hilfsmittel zu demütigen.
Ohne ein äußeres Zeichen seiner Erregung gab er den Spiegel zurück und folgte Takashi aus dem Krankenzimmer. Er brauchte sich keinen Mantel über den weißen Schlafrock zu ziehen, denn es ging nur den Gang hinab. Vor der letzten Tür links stand ein Samurai in traditionellem kamashimo-Gewand. Anstelle des haori trug er eine Jacke mit gestärkten Schultern, das kataginu. Die beiden Schwerter in seinem Gürtel bewiesen, dass er sich nicht zufällig hier aufhielt.
Takashi nickte dem Untergebenen zu, öffnete die Tür und trat mit Fudoh in den halbdunklen Raum. Eine Wolke aus Siechtum und Desinfektionsmittel schlug ihnen entgegen. Der ewig gleiche Ton eines Messgerätes durchbrach die Stille. Typisch für ein Sterbezimmer.
Vor dem Bett wachten zwei weitere Samurais, obwohl die hustenden Gestalt, die sich unter Kabeln und Infusionsschläuchen abzeichnete, zu keiner Flucht fähig war. Fudoh musste zwei Mal hinsehen, um Captain Perkins wiederzuerkennen. Eigentlich gelang es ihm nur wegen der blonden Haare, denn das einst volle Gesicht des Amerikaners war völlig ausgezehrt.
»Er leidet unter einer Immunschwäche«, erläuterte Takashi, während sie näher traten.
»Ohne unsere Behandlung wäre er längst gestorben.«
Perkins' abwesender Blick klärte sich, als er die Stimme des Shöguns hörte. »Was willst du noch von mir?«, begehrte er zwischen zwei Hustenanfällen auf. »Lass mich doch endlich verrecken. Ich habe alles erzählt, was du wissen wolltest.« Seine Rechte umklammerte einen durchgeschwitzten Fetzen seines Anzugs, der sich bei näherem Hinsehen als das WCA-Emblem entpuppte.
Takashi bestätigte die Worte des Gefangenen. »Wir wissen nun, dass die Amerikaner ein Heer in der Mongolei aufgestellt haben, das den Pazifik in ihrem Sinne kontrollieren soll. Sie selbst stellen dabei nur die Führer, da ihre Anfälligkeit jede eigene Kampfhandlung verbietet. Dieser Weltrat ist nichts anderes als ein Haufen Feiglinge!«
»Ich verlange, dass man mich auf schnellstem Wege nach Washington schafft«, fuhr Perkins dazwischen. »Als Angehöriger der Weltregierung habe ich ein Recht auf…« Eine Hustenkaskade unterbrach ihn mitten im Satz, doch gleich darauf fuhr er fort: »… ein Recht auf angemessene Behandlung. Die Konsequenzen werden fürchterlich sein, wenn ihr verdammten Schlitzaugen nicht bald…«
»Die Medikamente«, entschuldigte Takashi das zusammenhanglose Gestammel. »Er befindet sich im Delirium.« In einer fordernden Geste streckte er seine Rechte den Samurais entgegen. Einer von ihnen nahm das kürzere seiner beiden Schwerter, das
Wakisashi aus dem Gürtel und reichte es seinem General.
»Ich dachte immer, die Amerikaner wären unsere Freunde«, sprach Fudoh aus, was ihn schon seit Tagen quälte. All die Filmklassiker, die er so gerne sah - wie konnten sie von denselben Menschen stammen, die ihm das Gesicht geraubt hatten?
»Das waren
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