0542 - Himalaya-Grauen
wie möglich an unser Ziel heran.
Vom mächtigsten Gebirge der Welt war vorerst nichts zu sehen.
Wir überflogen die weiten Ebenen von Bangladesh und konnten sogar, weil es klar war, die Stadt Darjeeling sehen. Wer an sie dachte, der dachte auch sofort an den Tee, der aus dieser Region kommt und die Stadt berühmt gemacht hat.
Nicht weit entfernt im Norden standen bereits die gewaltigen Wände, und unsere Maschine mußte jetzt an Höhe gewinnen. Wie ein glitzernder Punkt in der Unendlichkeit des Himmels bewegte sie sich auf das gewaltige Massiv zu.
Die Berge bestanden aus drei verschiedenen Farbversionen. Unten ein sattes Grün, dort wuchs noch der dichte dschungelähnliche Wald, darüber die granitfarbenen Felsen und schroffen Berghänge, die durch einsam liegende Hochtäler miteinander verbunden waren.
Hoch über ihnen, vom Licht der Sonne bestrahlt, standen die mächtigen Eisriesen.
Die Maschine quälte sich hoch, hinein in die klare Luft, die wie gemalt wirkte.
Nur über den Spitzen der Gletscher sahen wir hin und wieder graue Wolken. Der Passagierraum war nicht voll besetzt. Außer uns flogen nur noch zwei Weiße mit. Sie sahen aus, als wären sie einem Abenteuer-Buch entsprungen. Kernig und braungebrannt. Dabei verbreiteten sie eine gewisse Wildheit und auch Zähigkeit.
Bequem konnte man die Sitze nicht nennen. Es war eben ein altes Schätzchen, das uns über das Gebirge schaukelte.
Mark und Wladimir hielten die Augen geschlossen. Sie schliefen.
Suko und ich waren wach.
Hin und wieder unterhielten wir uns über den Fall. Suko plagte eine große Sorge.
»Was ist, John, wenn Shao endgültig die Seiten gewechselt hat?«
»Daran glaube ich nicht.« Ich mußte meinen Freund einfach beruhigen. »Stell dir mal vor, was die Sonnengöttin dazu sagen würde. Das wäre ja Verrat!«
»Stimmt.«
»Ich traue es Shao einfach nicht zu.«
»Sie hat mich töten wollen, vergiß das nicht, John! Und es ist nicht bei der Absicht geblieben. Sie hat den Pfeil bereits auf die Reise geschickt. Wäre Mark nicht gewesen und hätte als Unsichtbarer eingegriffen, hättest du mich jetzt nach London überführen lassen können.« Suko schüttelte den Kopf. »Ich… ich kann es einfach nicht begreifen, John. Gut, für ihre Wandlung habe ich noch Verständnis. Daß sie sich Gigantus angeschlossen hat, kann ich nicht begreifen.«
»Oder Buddha.«
Suko schaute mich schief an. »Glaubst du noch immer an das Märchen?«
»Solange man mir nicht das Gegenteil bewiesen hat.«
»Das hast du doch schon bekommen. Wie hieß der Magier noch, von dem dieser Homan sprach?«
»Padmasambhava.«
»Eben.«
»Du meinst, daß er in Gigantus wiedergeboren wurde.«
»Ja, und nicht Buddha.«
Diese Theorie hatte etwas für sich. Vielleicht würden wir eine Antwort bekommen, wenn wir ihm gegenüberstanden.
Mein Blick fiel durch das Fenster in die Tiefe. Was ich sah, konnte mit dem Ausdruck grandios umschrieben werden.
Schneewohnung im Sanskrit, so haben die Inder einmal die Gletscherwelt des nördlichen Himalaya bezeichnet. Durch die klare Luft glitt mein Blick weit nach Norden, wo die Riesen standen wie gleißende Türme, die auch als Sitz der Götter angesehen wurden.
Eine Welt aus Eis, stumm, ruhig und trotzdem gefährlich, wenn das Wetter innerhalb von Minuten umschlug und gewaltige Stürme über die langen Eisflanken und Gipfel tobten, um zu zeigen, daß die Hölle auch auf Erden sein konnte.
Eine irre Szenerie aus Schnee, Eis und Fels. Ich konnte einfach nur staunen.
Suko schaute nicht. Er war mit seinen Gedanken woanders. Aber Golenkow war erwacht. Der Russe genoß das Panorama ebenso wie ich.
Ruhig zog die Maschine ihre Bahn. Es gab keine Luftwirbel, in die sie hätte hineintauchen können. Die Weite des Himmels erinnerte mich an dünnes Glas.
In meinem Innern spürte ich eine gewisse Spannung. Keine Furcht, nein, es war ein lichtes Vibrieren der Nerven, und ich merkte auch, daß wir an Höhe verloren.
Plötzlich standen die fernen Eisriesen wie blauweiße Wächter hoch über uns. Sichtbar wurden bereits die gewaltigen schüsselartigen und jetzt im Sommer grünen Hochtäler, die an den auslaufenden Flanken der Berge regelrecht festklebten.
Dichter Wald, weite Felder, Matten übersät mit Flechten, kleine Orte und sogar Tempelbauten, die sich hin und wieder gemäldeartig vom Hintergrund der grauen Felsen abhoben.
Wir schnallten uns an.
Eine mandeläugige Stewardeß sammelte die Getränkebecher ein, lächelte jeden von uns an
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