0545 - Der teuflische Engel
»Ihr glaubt mir nicht, wie?«
»Es fällt uns nicht einfach«, antwortete ich.
»Kann ich mir denken. Aber es war so. Erinnert euch an die Beschreibungen der Wendy Lakeman. Sie hat nicht übertrieben. Auch ich sah diesen Kunden.«
»Hat er mit dir Kontakt aufgenommen?«
»Nicht direkt, John.«
»Wie meinst du das?«
»Er lächelte mich an. Er stand da und lächelte. Das war alles. Aber in diesem Lächeln lag ein Versprechen, eine Verheißung. Er… er war irgendwie faszinierend. Ich werde ihn nie vergessen können, John. Dieser Mensch hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen.«
»War er überhaupt ein Mensch?«
»Er sah zumindest so aus. Besaß einen Kopf, zwei Beine, zwei Arme – nun ja…«
»Schön wie ein Engel, nicht.«
Glendas Hand fuhr hoch zum Mund. Als sie sprach, nahm sie die Finger von den Lippen. »Ja, das stimmt, John. Er war schön wie ein Engel. Es ist genau der richtige Ausdruck.«
»Auch der Teufel war einmal in grauer Vorzeit ein Engel«, meinte Suko, während er zu unserer Bürotür hinschielte, weil er sehen wollte, ob der Qualm unter der Türritze hervordrang.
Wir hatten begriffen. Glenda flüsterte: »Glaubst du denn, daß ich dem Teufel begegnet bin?«
»Das kann ich nicht bejahen und nicht verneinen. Schließlich erscheint unser Freund Asmodis oft in den abenteuerlichsten Verkleidungen. Weshalb nicht auch als Engel?«
Suko sagte: »Das wäre ja schon pervers. Der Teufel als Engel, aber lassen wir das.« Er deutete auf die Bürotür. »Wie wär’s denn, wenn wir mal nachschauen?«
Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Sehr vorsichtig näherten wir uns der Tür. Glenda blieb auf dem Bürostuhl hocken. Sie wirkte dort wie eingefroren, hatte die Knie an den Seiten gegeneinander gelegt und die Hände zu Fäusten geballt.
Rosen, die verwelkten, Bewußtlosigkeit hervorriefen und Halluzinationen förderten. All das war ungewöhnlich. Ich glaubte nicht daran, daß jemand die Rosen mit einem Rauschgift versetzt hatte.
Meiner Ansicht nach waren sie magisch beeinflußt worden.
Suko blieb dicht hinter mir, als ich die Tür öffnete. Wir hatten mit uns entgegenquellendem Rauch gerechnet, das alles stimmte nicht.
Unser Büro war leer.
Das heißt, nicht ganz. Wo der Blumenstrauß auf dem Boden verwelkt war, lag nun ein Aschehaufen. An den meisten Stellen tiefgrau, an einigen anderen heller.
»Das ist es wohl gewesen«, sagte ich und stieß die Tür ganz auf.
Selbst der Modergeruch hatte sich verflüchtigt. Er war zuletzt viel stärker geworden. Ich mußte wieder an meine Eindrücke denken.
Auch ich hatte das Gesicht des Unbekannten gesehen, ebenso wie Glenda.
Wer war dieser Mann?
Spuren hatte er nicht hinterlassen. Darüber sprach ich mit Suko, auch Glenda gesellte sich zu uns.
»Wo können wir anfangen?« fragte mein Freund.
Die Antwort gab Glenda. »Die einzige Spur, die wir haben, ist die Verkäuferin.«
»Sie weiß auch nicht mehr.«
»Hat sie nicht von einer Münze gesprochen, die der Kunde ihr als Barzahlung überreichte?«
Ich starrte Glenda an. »Klar, das ist die Idee. Die Münze. Sie soll sie uns bringen.«
»Okay.« Ich holte schon das Telefonbuch hervor, um die entsprechende Nummer herauszusuchen. Glenda ging und kam mit Kaffee zurück. Bei dieser Wärme trieb er uns noch stärker den Schweiß aus den Poren.
Ich wählte die Zahlen, die Glenda mir diktierte. Sehr schnell wurde abgehoben.
»Miß Lakeman, John Sinclair hier. Ich hätte gern mit Ihnen gesprochen, falls es möglich ist.«
Sie sagte erst mal gar nichts. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als würde sie mit jemandem sprechen und die Hand auf die Muschel halten, da die Hintergrundgeräusche verstummt waren.
Ich runzelte die Stirn. Suko wollte schon fragen, was los war, als sich Wendy wieder meldete. »Sind Sie noch da, Mr. Sinclair?«
»Natürlich.«
»Es geht klar. Wenigstens von meiner Seite aus. Aber ich kann leider nicht zu Ihnen kommen.«
»Keine Sorge, wir werden Sie besuchen.«
»Ich habe bald Mittagspause. Wenn Sie dann…«
»Wann?«
»In gut einer Stunde.«
»Wir sind bei Ihnen. Bis gleich.« Bevor sie noch etwas antworten konnte, hatte ich schon aufgelegt.
Ich wandte mich an meinen Freund und Kollegen. »Fährst du mit? Oder steigst du erst in den Wagen, wenn der BMW vor der Tür steht?«
»Hm«, meinte Suko. »Darüber müßte ich nachdenken.«
»Sehr lange?«
»Nein, nein, ich will nicht so sein.«
»Wie großzügig.«
»Außerdem kann man dich nicht allein fahren lassen,
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