055 - Das Monster von Greenfield
Fenster blicken. Will nur sehen, wie die biederen Sutherlands den Abend verbringen. Klar, sie sitzen vorm Fernseher. Wenn ich läute, würde mir Mrs. Sutherland öffnen. Ich würde ihr das Messer an die Kehle setzen und sie als Geisel mit ins Wohnzimmer nehmen, dort sie killen und mir Angie schnappen. Vor Sutherlands Augen. Und wenn er nicht mehr leiden kann, würde ich ihn köpfen und seinen Schweineschädel im Fernseher deponieren.
Keine Angst, Mike! Ich tu's nicht. Da ist ein Polizist bei den Sutherlands zu Gast. Und Polizisten wissen im Allgemeinen, was sie in gefährlichen Situationen zu tun haben.
Weiter. Wen hätten wir noch? Die Dunkelheit ist mein Verbündeter. Die Nacht ist schnell hereingebrochen. Die Straßen sind zwar beleuchtet, aber ihnen weiche ich ohnehin aus. Mein Weg führt mich durch die Gärten, über die Wiesen, durch die Gebüsche. Wie friedlich die schmucken Häuschen aussehen! Welches Idyll sich hinter den beleuchteten Fenstern abspielen mag? Wie ist es mit Lisas Eltern? Sie sind so schuldig wie ihr Flittchen, weil sie es in die Welt gesetzt haben. Ergo müssten auch sie sterben.
Aber nein! Das wäre wenig befriedigend. Los, Mr. Hyde, entschließe dich! Der aufgestaute Hass wird immer größer. Sei nicht so wählerisch. Stürme in irgendeine Bude, und vollziehe deine Rache!
Keine Bange, Mike, ich werde dich rächen.
Die schmucken, idyllischen Häuschen von Greenfield gleiten wie auf einem Förderband an mir vorbei. Gelegentlich riskiere ich einen Blick durch ein Fenster, sehe eine Familie beim Dinner – der Bissen möge ihnen im Hals stecken bleiben – irgendein altes Weib mit Strickzeug vorm Fernseher.
Und wen haben wir denn da?
Er ist groß und wirkt kräftig. Früher hat er vielleicht handwerklich gearbeitet, aber jetzt gehört er zu den Honoratioren von Greenfield. Ich vermute, dass er sich im Sommer durch Golf und Tennis fit hält und im Winter auf dem Kontinent Ski fährt. Er trägt einen Zylinder und einen Umhang – wie ich. Und auch der Stock fehlt nicht. Er steigt aus seinem Jaguar, sperrt das Gartentor auf, setzt sich wieder in den Wagen, kurbelt am Lenkrad, fährt den Jaguar aufs Grundstück und in die Garage.
Ich bin inzwischen über den Zaun geklettert und renne zur Hintertür des Hauses. Und während unser Spießer das Garagentor schließt – es quietscht – schlage ich das Fenster der Tür ein, lange durch die Öffnung und mache den Riegel auf. Schon bin ich drinnen.
Gediegene Wohnatmosphäre umgibt mich. Ja, hier lässt es sich leben. Und von so hoch oben lässt es sich leicht auf so armselige Kreaturen wie dich, Mike, herunterspucken.
Schritte kommen aus dem Verbindungsgang zur Garage. Der Hausherr pfeift vergnügt vor sich hin. Er erreicht das Wohnzimmer, knipst das Licht an, sieht mich gar nicht, der ich in seinem Hausherrensessel lümmle, sondern strebt sofort der Bar zu.
Klar, Mr. Quimbley, gönnen Sie sich noch einen Schluck. Einen allerletzten kleinen Drink.
Ich rekele mich, aber Mr. Quimbley sieht mich immer noch nicht. Er hat eine Figur und ein Gesicht wie ein Filmstar. Ganz neidisch könnte man werden. Was wird wohl seine Alte sagen, wenn sie von ihrer Tante zurückkommt und dieses Gesicht verändert vorfindet? Sie wird ihren Mr. Quimbley nicht wieder erkennen.
Jetzt dreht er sich um, mit dem Glas in der Hand, wendet sich seinem geliebten Ohrensessel zu und sieht mich. Ich muss grinsen. Das Glas entfällt seinen Händen.
»Guten Abend, Mr. Quimbley!«, begrüße ich ihn.
Er fasst sich schnell.
»Wer sind Sie? Wie kommen Sie in mein Haus? Verschwinden Sie sofort wieder, oder ich …«
Er macht einen Schritt auf das Telefon zu, aber ich bin schneller. Ich springe auf, bringe mich mit drei Sätzen zum Telefon und zertrümmere es mit einem Stockschlag. Dann mache ich einige Steppschritte und verneige mich wie nach einer gelungenen Darbietung.
Das macht Eindruck auf ihn. Er weicht erschrocken zurück. Jetzt habe ich ihn in der richtigen Stimmung. Ich nähere mich ihm tänzelnd, den Stock zwischen den Fingern drehend.
»Ja, Mr. Quimbley«, sage ich grinsend, »mit meinem Besuch haben Sie wohl nicht gerechnet.«
»Wer – wer sind Sie?«, fragt er wieder.
Aber seine Stimme gehorcht ihm nicht mehr ganz. Er ist so einfallslos wie die meisten. Dass den Leuten in solchen Situationen auch nichts anderes in den Sinn kommt, als dämlich zu fragen: »Wer sind Sie?«
»Sagen wir mal, ich bin ein Freund von Mike, den Sie und Ihresgleichen ›Cleanhead‹
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