0555 - Consuelas bitteres Sterben
vor, das merkte ich. Was immer es sein mochte, ich wollte dabei sein und ihr vor allen Dingen damit zuvorkommen.
Deshalb ging ich einen Schritt vor. Mehr brauchte ich nicht, um das Messer zu erreichen.
Damit hatte sie nicht gerechnet, denn sie tat nichts, um mich daran zu hindern.
»Bevor du dich um Jane Collins kümmerst, mußt du erst mit mir fertig werden, Consuela!«
Sie nickte – und handelte.
Ich spürte den Ruck, und einen Moment später rasten wir hinein in den Nebel und stiegen gleichzeitig hoch…
***
Glücklicherweise hatte ich mit dieser Situation gerechnet und mich darauf eingestellt. Mein Stand war relativ fest, und so warf mich auch der Ruck nicht von der Unterlage. Er drückte mich nur nach vorn, so weit, daß ich Halt finden mußte.
Ich bekam ihn bei Consuela.
Wie ein Liebespaar standen wir auf dem Fleck, ich hielt sie umklammert, und Sekunden zogen sich hin wie Minuten.
Um uns herum quoll und wirbelte der Nebel. Ich spürte ihn wie kalten Regen oder glitschige Finger über meine Gesichtshaut streifen. Wo wir uns befanden, bekam ich nicht heraus. Wahrscheinlich so hoch wie die Hausdächer oder schon darüber.
Über die Zeit konnte ich nicht nachdenken, ich wollte es auch nicht, denn Consuela hatte sich wieder gefangen und stieß mich zurück. Sie schaffte es nicht, mich über den Rand kugeln zu lassen, denn ich hielt mich an ihr fest, und es gab noch etwas, mit dem ich sie fertigmachen und beeinflussen konnte.
Plötzlich tauchte das Kreuz dicht vor ihrem Gesicht auf. Es berührte sie noch nicht, doch der Anblick bereitete ihr körperliche Qualen, denn ein Laut des Wehklagens drang aus ihrem Mund.
»Weg damit!«
»Erst wenn du landest!«
Ich hatte das Kreuz gut beobachten können. Die vier Buchstaben an den Enden blinkten auf wie kleine Warnleuchten. Die Ecken wurden durch das Leuchten genau nachgezeichnet.
Ich hatte Erfolg. Irgendwie merkte ich, daß es bergab ging. Schräge Hausdächer huschten wie starre Schatten an mir vorbei. Im nächsten Augenblick bekamen wir festen Grund unter den Füßen.
»So und jetzt…«
Ich ließ sie nicht ausreden und handelte. Wieder umarmte ich Consuela, diesmal allerdings mit meinem Kreuz, das ich fest gegen ihren Rücken drückte…
***
Das Geräusch, das ich hörte, erinnerte mich an einen nur schwerlich unterdrückten Schrei. In das Wehklagen mischte sich ein Gurgeln.
Ich sah nicht in ihr Gesicht, mich interessierte der Rücken, der auch Kontakt mit dem Kreuz bekommen hatte.
Über die rechte Schulter konnte ich schauen. An vier Stellen wirkte mein Talisman wie eine Lanze, die ihr Licht abgab, das dabei den Körper der Frau durchstrahlte.
Es hatte Löcher wie Laserlicht hineingebohrt. Noch immer ächzte und klagte sie. Sie zuckte unter meinem Griff und erschlaffte gleichzeitig. Ich hielt sie auf den Beinen, als sie von der Killerschneide des Messers wegzog.
Die gesamte Szenerie störte mich. Sie kam mir irgendwie als Traum vor, in dem wir beide nichts anderes als Objekte waren, ohne die Hauptpersonen zu sein.
Ich erlebte das langsame Sterben der Sternen-Prinzessin zwar aus der Nähe und trotzdem aus einer gewissen Distanz, als wäre eine Mauer zwischen sie und mich geschoben worden.
Consuela hing an mir wie eine Klette. Wir standen nicht mehr Brust an Brust, die Sternen-Prinzessin hielt meine linke Schulter fest, wollte auch die andere umklammern und schob ihre Hand schräg über meinen Brustkorb.
Eine Hand?
Nein, es war schon eine Klaue. Ich schauderte zusammen, als ich die aschgraue Haut sah, die dünn über den Knöcheln lag. So ähnlich sahen Menschen aus, die bereits dem Tod geweiht waren.
Noch spannte sich die Haut, wenn sie die Finger bewegte, aber plötzlich platzte sie weg.
Knochen sah ich nicht.
Heller Staub rieselte hervor, vergleichbar mit künstlichem Glitzerzeug, das über Tannenbäume gekippt wurde, um Schnee zu imitieren.
Ich stand da wie ein Eisblock. Nur taute ich nicht auf. Ich wußte, daß sie vergehen würde, schaute nach unten und sah, daß sie ihren Körper folgen ließ.
Auch er schob sich diagonal an meiner Brust entlang. Die Farben waren andere geworden.
Das blaue Kleid nur mehr ein grauer Lappen, das Haar nicht mehr dunkel, dafür blaß, aschgrau mit ein paar hellen Streifen.
Und erst das Gesicht. Keine Fratze und trotzdem schrecklicher anzusehen. Die eingefallene, graue Haut, die blutunterlaufenen Beulen und Flecken an Mund und Augen, zerrissene Lippen wie poröse Schläuche, Augen ohne Glanz und
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