056 - Der Werwolf
ertönte es aus dem Hörer.
„Genau das wollte ich damit sagen!“ erklärte der Förster. „Hören Sie, Herr Regierungsrat – wir tun wirklich alles, um den Wolf zu erledigen. Aber wir können keine Wunder vollbringen!“
„Das sehe ich ein. Danke, daß Sie mir wenigstens zugehört haben!“
„Schon gut. Danke für den Anruf!“
Der Förster legte auf.
Der Wolf war ausgeruht und völlig Herr seiner Sinne. Der menschliche Verstand hatte die vollkommene Kontrolle über diese tödliche, wunderbare Maschine der Rache übernommen. Als der Geruch der Schafe, der Hunde und des Schäfers auf ihn eindrang, sprang ihn die Lust an, zu töten. Es war nicht nur Hunger, sondern auch Mordgier.
Ich bin ausgeruht, habe zwei Menschen getötet und werde auch die anderen umbringen!
Der Wolf schlug einen schnellen Trab ein und rannte durch die halbe Dunkelheit auf das kleine Tal zu, in dem er die Schafherde wußte.
Zuerst schob er sich durch das dichte Unterholz, dann trabte er schnell durch eine Zone aus Hochwald und aufgeforstetem Mischwald, schließlich hielt er auf der Kuppe eines kleinen Hügels an.
Der Wolf, sagten alte Berichte, habe das Herz eines geborenen, feigen Mörders. Er sei nicht zähmbar, wie ein Hund etwa. Das war unrichtig. Sein Verhalten wich nur von dem gewohnten Schema anderer Raubtiere ab. Auf der Suche nach seinen Opfern war er vorsichtig, fein berechnend und listenreich.
Das wußte Christian Franke, und er machte sich genau diese Eigenschaften seines Körpers zunutze. Er blieb stehen. Mit schräg hängender Rute, nach vorn gestrecktem Kopf und seinen außerordentlich scharfen Augen sah er die weißen, runden Wolltiere in kleinen Gruppen stehen. Ein Pferch, der für ihn nicht das geringste Risiko darstellte, umgab die Herde. Die Hunde kläfften aufgeregt, und auch der Schäfer hob den Kopf.
Der Wolf schätzte sorgfältig Entfernung und Geschwindigkeit ab, dann stob er in seinem eigenartig schlenkernden Gang den Hügel hinunter und näherte sich den Schafen von der anderen Seite. Ein Hund begann warnend zu bellen, aber der Wolf ignorierte dies.
Er wurde mit allen drei Hunden fertig. Er dachte zwar flüchtig daran, daß der Schäfer eine Waffe haben könnte, aber auch das störte ihn nicht. Gieriger Hunger und der rasende Zwang, Leben zu vernichten und warmes Blut zwischen den Zähnen zu spüren, trieb ihn an das Gatter heran und in einem riesigen Satz darüber hinweg. Er landete genau im wolligen Nacken eines Schafes, das sich vor Schreck nicht von der Stelle rührte.
Die mächtigen Kiefer schlossen sich knirschend. Zwischen Wolle und weicher Haut und dem aufgerissenen Fleisch schoß ein Blutstrom heraus. Als das Schaf zuckend unter ihm zusammenbrach, ließ der Wolf sich fallen. Dann sprang er auf ein kleines Lamm zu, rammte es zur Seite und schnappte nach dessen Kehle. Das Tier blökte einmal auf, dann ergoß sich das dünne, helle Blut in den Rachen des Wolfes. Ein wahrer Blutrausch erfaßte die Bestie.
Vor dem Gatter rannte wütend bellend ein Hund hin und her, ein zweiter kam in rasenden Sprüngen von der anderen Seite. Von hinten hörte er den fluchenden alten Schäfer heranstapfen. Er konnte nicht schnell genug laufen.
Wieder schlug ein Tier mit den Läufen, während sich der Rest der kleinen Herde in der anderen Ecke des Pferches zusammendrängte. Die weißen und gelben Felle troffen von Blut, das sich im Licht des abnehmenden Mondes seltsam rostrot färbte.
So werde ich auch die Menschen töten!
Der Wolf sprang zurück in die Mitte des Pferches. Um ihn herum lagen vier tote Schafe. Eines davon wollte er mitnehmen. Er nahm einen Anlauf, sprang über das Gatter und stürzte sich wie besessen auf den kleinen Hund des Schäfers. Der Angriff kam für das Tier überraschend, und die konzentrierte Wut und Kampfkraft des Wolfes demoralisierte ihn. Er war anders als Rex, der Hund der Lassners.
Er wich zurück und bot dem Wolf einen Augenblick die ungeschützte Schulter. Die Bestie sprang auf ihn zu, der Rachen war aufgerissen, und dann schlugen die Zähne in den Körper des Hundes. Er jaulte auf, wich zurück und floh in panischer Angst.
Seinen Stab wie einen Dreschflegel schwingend, kam der Schäfer heran. Der Wolf kümmerte sich nicht um ihn und bohrte seine Zähne in den Rücken des toten Lammes. Mit dem Tier quer im Maul sprang er auf das freie Feld hinaus. Nach etwa fünfzig Metern hatte ihn der andere, schwarzweiß gefleckte Hund eingeholt und biß ihn selbstmörderisch ins
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